Geschichte der Soziologie oder Vergangenheitsbewältigung?
Um die Mitte der siebziger Jahre begann die Soziologie in Deutschland sich
auf ihre jüngste Geschichte zu besinnen; es ging weniger um ihre Klassiker,
die seit jeher zum Kanon der Fachausbildung gehörten, vielmehr um Werk,
Wirkung und politisches Profil ihrer wissenschaftlichen "Väter"
und "Großväter" als Repräsentanten der deutschen
Soziologie der Zwischenkriegszeit 1918-1945. Auslöser für diese
Recherchen waren einerseits neue Konzepte der Wissenschaftssoziologie: Die
Struktur wissenschaftlicher Revolutionen und das Konzept des Paradigmenwandels
(Kuhn 1976), soziale und kognitive Institutionalisierungsprozesse und Stadien
der Wissenschaftsentwicklung (Mullins/Mullins 1973), wurden auf die eigene
Disziplin angewandt und machten gerade die Zwischenkriegszeit mit ihren
politischen Umbrüchen, sozialen Krisen und kulturellen Experimenten
zum bevorzugten Analysegegenstand einer "Wissenschaftssoziologie der
Soziologie". Andererseits waren diese wissenschaftlichen Bemühungen
stets begleitet von einer stark emotionalisierten Aufarbeitung persönlicher
Lebensgeschichten: als zornige Abrechnung der Nachkriegsgeneration mit ihren
Vätern, als moralische Kritik an den geistigen Irrwegen, die zwangsmäßig
zur Katastrophe des Nationalsozialismus führen mußten - oder
auch als Rechtfertigung bzw. gegenseitige Schuldzuweisung der betroffenen
Zeitzeugen. Diese Kontroversen haben eine systematische wissenschaftliche
Analyse erschwert, aber gleichzeitig eine lebhafte und pointierte Diskussion
ausgelöst und werden selbst wieder zu Forschungsgegenständen einer
bewegten Wirkungsgeschichte der Soziologie, an der Konflikte und Zusammenwirken
von wissenschaftlichen Ideen, persönlichen Karriereentscheidungen,
plötzlichem Wechsel des politischen Rahmens und institutionellen Zwängen
hervorragend studiert werden können. Die ideengeschichtliche Perspektive,
die zweifellos ihre Berechtigung behält als Fortschreibung und Sicherung
des disziplinären Wissenskanons, tritt hier zurück zugunsten einer
wirkungsgeschichtlichen und wissenschaftssoziologischen Analyse und eines
biographischen Aspekts. Damit erscheinen neben den Institutionen Wissenschaft
und Universität mit ihren in langer Tradition gefestigten Regeln der
Wissensproduktion, Sozialisation, Selektion, Paradigmenbindung etc., wissenschaftsexterne
Einflußfaktoren auf das Werk: sowohl schicksalhafte Ereignisse, politische
Umbrüche, Kriege, als auch subjektive Merkmale, wie Temperament und
Begabung, familiäre Bindungen und Freundschaften, persönliches
politisches Engagement und alle Zufälle des persönlichen Lebensweges;
persönliche Verantwortung und Versäumnisse werden damit auch zum
soziologischen Forschungsproblem.
Die Berücksichtigung außerwissenschaftlicher Faktoren, vor allem
der politischen Ereignisse, hat in dieser deutschen Nachkriegsdiskussion
zu einer nationalstaatlichen Isolierung der Soziologiegeschichte und zu
einer zeitlichen Zentrierung auf das Schlüsselereignis der "Machtergreifung
1933" geführt. Beides ist sachlich unzulässig und führt
zu verzerrten Ergebnissen. In der Zwischenkriegszeit bestand weiterhin ein
dichtes Kommunikationsnetz der verschiedenen intellektuellen Milieus des
deutschsprachigen Mitteleuropa - dazu gehörten auch Prag und Budapest
als Kulturzentren der Habsburger Monarchie - das erst durch den 2. Weltkrieg
zerstört wurde (Lepsius 1981a: 7-10). Auch eine zeitliche Eingrenzung
auf die zwanziger Jahre oder auf die Zeit des Nationalsozialismus muß
zu irreführenden Ergebnissen führen. Wenn auch die politische
Zäsur 1933 in Deutschland einen deutlichen Bruch mit der Soziologie
der zwanziger Jahre hervorrief und eine weitere Spaltung nach 1933 durch
die Emigration verursachte, so sind doch in allen drei Fragmentierungen
weiterhin auch Gemeinsamkeiten hinsichtlich wissenschaftstheoretischer Grundlagen,
des wissenschaftlichen Selbstverständnisses und der Paradigmen festzustellen.
Die äußerst schöpferische Kultur und Wissenschaft der Weimarer
Republik zehrte von längerfristigen europäischen geistigen Strömungen,
die durch Kulturkampf und Wissenschaftspolitik im wilhelminischen Deutschland
größtenteils abgeblockt waren und danach mit gesteigerter Wucht
zum Durchbruch kamen. Vor allem die Soziologie war davon betroffen - sie
fand in Deutschland erst in den zwanziger Jahren Anerkennung als akademische
Disziplin, und wurde im Gesamtzusammenhang dieses kulturellen Durchbruchs
zur gesellschaftlichen Erneuerungsbewegung hochstilisiert. Die Ursprünge
der Sozialwissenschaften und ihre großen Fortschritte im 19. Jahrhundert
sind jedoch im langfristigen europäischen und transatlantischen Diskurs
verankert, der in einer im Vergleich zu heute viel übersichtlicheren
Wissenschaftsgemeinschaft mit wenigen maßgeblichen Zeitschriften nach
1918 in Deutschland noch einmal einen Höhepunkt erreichte. Die 1909
gegründete Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) hatte zahlreiche
Mitglieder aus dem deutschsprachigen Mitteleuropa, die zum Teil auch führende
Positionen einnahmen. Die durchgängigen europäischen kulturellen
Traditionen blieben also ebenso relevant wie die nationalen politischen
Ereignisse. Erst durch eine Mehrebenen-Betrachtung in diesem Sinne, die
erstens vermeidet, das Jahr 1933 als einen alle gesellschaftlichen Bereiche
revolutionierenden Bruch zu definieren, die zweitens sich nicht auf den
deutschen nationalstaatlichen Raum beschränkt, der vor 1871 ja nicht
in dieser Form existiert hatte, wird man das Zusammenspiel der einzelnen
Ebenen zeigen können, in dem euphorische Übersteigerungen, Sinnverschiebungen
und Bedeutungswandel sozialwissenschaftlicher Modelle und Theorien zustande
kamen - ein Zusammenspiel, das von Synergieeffekten bis zur gegenseitigen
Blockade reichen konnte.
Die meisten Arbeiten über diese Zeit wurden als "kritische"
Analysen unternommen, jedoch nicht im Sinne dieser Mehrebenen-Analyse, die
mit einer immanenten Interpretation auf der Grundlage einer zeitgenössischen
Ortsbestimmung auch eine Einordnung in den Gesamtzusammenhang ex post, sowie
ein Prüfen der logischen Folgerichtigkeit der Werke vereinen würde;
"kritisch" verstanden sich die Forschungen vielmehr im Sinne einer
"Vergangenheitsbewältigung", die das "falsche Bewußtsein"
der damaligen Gelehrten als Wegbereiter des Nationalsozialismus aufdecken
sollte und diese damit zu Ideologen erklärte. So wird in einer intellektuellen
Biographie Hans Freyers von der wissenschaftlichen Leistung Freyers von
vorneherein abgesehen (dabei jedoch konzediert, daß seine wissenschaftlichen
Werke heute noch mit Profit gelesen werden könnten), da seine historische
Bedeutung als radikal-konservativer Ideologe überwiege (Muller 1987:
3). In einer Darstellung der deutschen Soziologie 1933-45 wird Freyer zum
Ideologen der nationalsozialistischen Bewegung erklärt, da er bereits
1930 den gesellschaftlichen Willen als Hiatus zwischen Vergangenheit und
Zukunft bzw. Theorie und Praxis in sein soziologisches Konzept einbezogen
hätte.(Rammstedt 1986: 44 f.) Oder er wird in einer renommierten historischen
Darstellung der Kultur der Weimarer Republik lediglich als "völkischer
Schriftsteller" erwähnt, seine wissenschaftliche Karriere wird
dabei außer acht gelassen ( Gay 1970: 11). Dies sind durchaus folgerichtige
Eingrenzungen des Forschungsinteresses, wenn Gesellschaft und Kultur der
Weimarer Zeit ausschließlich vom "Endpunkt" des Nationalsozialismus
her charakterisiert werden.
Die Frage, wie es 1933 zur politischen Katastrophe in Deutschland kommen
konnte, die ja eine harte historische Tatsache ist, sollte nicht dazu führen,
im nachhinein alle Entwicklungen auf diesen Kulminationspunkt der Katastrophe
hin zu interpretieren. Am weitesten geht dabei wohl Georg Lukács,
der eine immanente und zwingende Kausalkette herstellt von einem historischen
Eklektizismus in der Nationalökonomie des 19. Jahrhunderts über
einen Werterelativismus, gefördert durch die damalige Psychologie,
bis zum Irrationalismus, bei dem Max Weber gerade durch seine Exclusion
der Werte aus der Wissenschaft gelandet wäre - sowie zu Hans Freyer,
der durch Übertragung der Existenz- und Lebensphilosophie auf die gesellschaftliche
Ebene den positiven Weg zum Faschismus frei gemacht hätte (Lukács
1946). In derartigen Rezeptionen spiegelt sich der Kampf der Ideologien
des 20. Jahrhunderts; sie tragen jedoch kaum zu einem historisch-wissenschaftlichen
Erkenntnisfortschritt bei, denn was Resultat der Analyse sein sollte, ist
darin von vorneherein vorgegeben; man betreibt "Vergangenheitsbewältigung,
und die "wissenschaftliche" Arbeit wird dabei zur bloßen
Reifikation. Auch in der historischen Analyse muß das Ergebnis zunächst
offen sein, die Komplexität der Prozesse und die Falsifizierbarkeit
der Ergebnisse und Theorien müssen erhalten bleiben.
Die wissenschaftliche Bearbeitung dieser Zeit wurde durch die Gründung
einer Arbeitsgruppe "Ethnologie im Nationalsozialismus" nun im
Fach Ethnologie aufgenommen, und die Arbeiten zur Soziologie der Zwischenkriegszeit
können erste Vergleichsmöglichkeiten bieten. Das Buch von Otthein
Rammstedt, Deutsche Soziologie 1933-1945 (1986) hat vermutlich deshalb
in die ethnologische Diskussion Eingang gefunden, weil der Begriff der Volksgemeinschaft
darin eine zentrale Rolle spielt. Dieses Buch, das eine Bibliographie der
"Soziologischen Literatur im Dritten Reich" von mehr als 200 Seiten
enthält, im Text aber nur wenige, bereits in anderen Arbeiten hinlänglich
diskutierte Werke behandelt, kann hier als paradigmatisches Exempel einer
wissenschaftlichen "Vergangenheitsbewältigung" im o.a. Sinn
dienen.
Rammstedt kommt in seiner Abhandlung schnell auf das Hauptergebnis seiner
Forschungen: Ab 1933 hätten die in Deutschland verbliebenen Soziologen
eine paradigmatische Eigenständigkeit und Einheit nach innen wie nach
außen vertreten, im Sinne einer "deutschen" Soziologie (in
Anführungsstrichen) bzw. Deutschen Soziologie (groß geschrieben
- ähnlich wie damals auch eine Deutsche Physik propagiert wurde). Da
die für seine Abhandlung erstellte Bibliographie ein unerwartetes Übermaß
an nationalsozialistischen Arbeiten ergeben hätte, fühlte Rammstedt
sich berechtigt, mehr oder weniger die gesamte sozialwissenschaftliche Profession
in Deutschland nach 1933 unter dieses einheitliche Paradigma der Deutschen
Soziologie zu subsumieren, das er als einen totalitären Ansatz versteht,
der jedoch weder von den zeitgenössischen Wissenschaften im Ausland,
noch in späteren Rezeptionen, auch nicht in der bisherigen Fachgeschichtsschreibung
wahrgenommen worden wäre (1986:20-22).
Zwei Kritikpunkte sind hier anzuführen:
Erstens müßte die Feststellung, daß die zeitgenössische
internationale scientific community, die doch die deutsche Entwicklung
äußerst kritisch verfolgte, den totalitären Ansatz der Deutschen
Soziologie nicht wahrgenommen hätte (Rammstedt 1986: 22f.), und die
sich dabei auf Durchsicht renommierter Zeitschriften und Verhandlungen internationaler
wissenschaftlicher Gesellschaften nach 1933 bezieht, den Autor doch zu einer
Überprüfung veranlassen, ob seine Subsumierung der Soziologie
in Deutschland unter das totalitäre Paradigma Deutsche Soziologie überhaupt
wissenschaftlich haltbar ist. Freyers theoretische Grundlegung der Soziologie
(1930), auf der seine nachfolgenden Arbeiten zu den Aufgaben der Soziologie,
zur politischen Erziehung, zu Herrschaft, Planung und Technik, sowie zum
Volksbegriff theoretisch aufgebaut sind, ist als eine der wenigen Arbeiten
der jüngeren deutschen Soziologengeneration nach Max Weber im Ausland
rezipiert worden. Sie wurde als interessante Fortführung des Ansatzes
Max Webers in Frankreich auch nach 1933 wahrgenommen (Aron 1935: 4, 175),
und der amerikanische Soziologe Talcott Parsons übernahm 1937 in seinem
frühen Hauptwerk The Structure of Social Action (New York 1968:
473) nicht nur Freyers geschichtsphilosophische Fundierung der Soziologie
im Idealismus, sondern stützte sich auch im wesentlichen auf Freyers
Klassifikation der Wissenschaften in Natur-, Logos-, und Wirklichkeitswissenschaften
(762, 774), um nur einige Beispiele des internationalen Diskurses zu nennen.
Einige der Schüler Freyers haben sowohl in Deutschland als auch in
der Emigration dessen theoretische Grundlegung ausgebaut1.
Zweitens kommt mit der Subsumierung aller soziologischer Arbeiten in Deutschland
nach 1933 unter "Deutsche Soziologie" eine ideologische Kategorisierung
der Soziologie sozusagen "durch die Hintertür" wieder ins
Spiel, die damals nur von wenigen nationalsozialistischen Karrieristen vertreten
wurde: Wenn man alle in Deutschland verbliebenen Soziologen unter dem Paradigma
"Deutsche Soziologie" zusammenfassen kann, müßte daraus
dann nicht auch eine Zusammenfassung der Emigranten folgen - etwa unter
dem Paradigma "Jüdische Soziologie", oder "liberalistische
Soziologie"?
Rammstedt hat auf jeden Fall einen heftigen Protest der älteren Soziologengeneration
als Zeitzeugen herausgefordert. Unter ihnen war es vor allem René
König, der selbst noch nach 1933 in Deutschland studiert und und publiziert
hat, bis er 1938 nach Zürich ging - der als einer der führenden
deutschen Soziologen nach 1945 zeit seines Lebens gegen alle restaurativen
Tendenzen und gegen die Fortsetzung nationalsozialistischer Karrieren gekämpft
hat - der die theoretische Denkfigur der Deutschen Soziologie bei Rammstedt
lediglich durch einen primitiven Empirismus abgestützt fand (König
1987: 393 ff.): Statt seine These theoretisch zu differenzieren, könne
er sie nur abstützen durch "eine ungemein dilettantisch und primitiv
aufgestellte Bibliographie, [die] das bisher erreichte Maximum an versuchter
Irreführung eines harmlosen Publikums darstellt, das über keinen
substantiellen Blick nach rückwärts verfügt [...]" (395).
König mahnt dabei nicht nur das Fehlen seiner und vieler anderer Publikationen
in der Bibliographie an, sowie den fehlenden Bezug auf seine eigene bereits
1937 geschriebene theoretische Kritik der historisch- existenzialistischen
Soziologie (1975), sondern bezichtigt Rammstedt darüber hinaus,
er hätte sich auf genau die abwegige Linie weniger Soziologen (vor
allem Hans Freyers) um 1933 verleiten lassen, die aus der Fiktion, die gesellschaftliche
Wirklichkeit hätte sich mit dem politischen Umbruch 1933 sprunghaft
geändert, folgerten, daß die Erkenntnishaltung der Soziologie
als Wissenschaft sich ebenfalls grundlegend ändern müsse (394)
- hin zur nun alleine hoffähigen Deutschen Soziologie. König verabsolutiert
hier allerdings ebenfalls den Umbruch 1933, denn die soziologischen Theorien
der sogenannten Deutschen Soziologen Rammstedts wurden lange vor 1933, in
den Aufbruchsjahren der Weimarer Republik konzipiert. Auch tendiert König
in seiner o.a. theoretischen Kritik stellenweise zu ähnlichen Vereinfachungen,
indem er die historisch-existenzialistische Soziologie besonders anfällig
für Gewalt (1975: 13) und die Anfälligkeit dieser Denkformen und
Denker für den Nationalsozialismus (1975: 267) herausstellt und sich
dabei im wesentlichen auf Freyer und Heidegger beruft. Da zu den berühmtesten
Vertretern einer historisch-existenzialistischen Soziologie auch Emigranten
der "Frankfurter Schule" zu rechnen sind, führt es nicht
weiter, theoretische Denkfiguren, wie die historisch-existenzialistische
Theorie, eine politikwissenschaftliche Liberalismuskritik, oder auch die
Gleichsetzung von Theorie und Praxis, mit Faschismus oder Nationalsozialismus
in eine Linie zu bringen. Um derartige Theorien mit der Realpolitik zu verbinden,
sind immer institutionelle Schaltstellen nötig, und diese sind im einzelnen
nachzuweisen.
Im Falle Hans Freyers wird versucht, diese Schaltstelle zu belegen durch
seine Wahl zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
(DGS) im Dezember 1933 (u.a. Klingemann 1981, Käsler 1984). Hans Freyer
nahm nach vorheriger Absage die Wahl zum Präsidenten der DGS im Dezember
1933 nur deshalb an, um die Gegengründung eines neuen nationalen Soziologenverbandes
durch eine radikale Gruppe NS-orientierter Soziologen, die sich tatsächlich
"Deutsche Soziologen" bezeichneten, zu verhindern2. Das ist gelungen, und nach 1934 gab
es keinen nennenswerten Auftritt dieser radikalen Deutschen Soziologen mehr,
bzw. ist sie offensichtlich nie zu einer nationalen Organisation geworden.
Freyer hätte Ende 1933 tatsächlich alle institutionellen Möglichkeiten
in der Hand gehabt, zum "Führer" der Soziologen im neuen
nationalsozialistischen Deutschland zu werden: Er war Präsident der
traditionellen Fachorganisation DGS, er wäre als Kompromißkandidat
auch von der neuen radikalen Gruppe akzeptiert worden, und er war bestens
eingeführt sowohl in der internationalen Kant-Gesellschaft als auch
in der Deutschen Philosophischen Gesellschaft; er hätte zudem als Herausgeber
der neuen soziologischen Zeitschrift Der Volksspiegel (ab 1933) die
Schaltstelle für Publikationen einer nationalsozialistischen Soziologie
kontrollieren können. Aber er nützt keine dieser Gelegenheiten
aus, unterläßt weitere Aktivitäten als Präsident der
DGS und gibt die Herausgeberschaft des Volksspiegel 1934 wieder auf.
Aus dem Nicht-Ausnützen insitutioneller Vorteile und aus seiner wiederholten
Ablehnung einer Parteimitgliedschaft läßt sich schließen,
daß sich Freyer von einer nationalsozialistischen Vereinnahmung fernhalten
wollte, was er stets sehr höflich und vorsichtig, niemals mit theatralischer
Pose, durchzuhalten wußte. Auch spricht Freyers Rückzug gegen
Rammstedts These, Freyer hätte, wie die anderen Deutschen Soziologen,
die hypertrophe Absicht gehabt, die Soziologie als eigenständige Kraft
im Prozeß der Volkwerdung neben der Politik zu institutionalisieren
(Rammstedt 1986: 128 f.); dazu wären doch die ihm zur Verfügung
stehenden Positionen hervorragend geeigent gewesen. Sein Wirken an der Universität
war nach übereinstimmenden Aussagen ehemaliger Schüler gekennzeichnet
vom Bemühen, nach außen möglichst kein Aufsehen zu erregen,
um seinen Schülern und Kollegen in seinem Istitut einen Schutzraum
zur wissenschaftlicher Arbeit zu erhalten. In der Atmosphäre des zunehmenden
allgemeinen Mißtrauens konnte das allerdings auch irritieren - man
wußte nicht, woran man war3.
Die Konzessionen Freyers werden genauestens berichtet ( z.B. Muller 1987),
die Gegenbeispiele jedoch übersehen: Freyer hat nach 1933 sowohl die
Marx-Studien seines Schülers Heinz Maus (nach 1945 einer der prominenten
Vertreter einer marxistischen Soziologie in Marburg) gedeckt und ihn aus
dem Gefängnis geholt4,
wie auch den Leipziger Philosophen Hugo Fischer bis zu seiner Flucht nach
Norwegen geschützt, der (wie H. Maus) mit der nationalbolschewistischen
Bewegung verbunden war. Für die Berliner "Mittwochsgesellschaft"
war Freyers Deutsches Wissenschaftliches Institut in Budapest bis 1944 ein
ausländisches Vortrags- und Kontakt-Refugium, und zahlreiche ungarische
Kollegen verdanken Freyer ihre Rettung in letzter Minute vor den sowjetischen
Besatzern. Freyer wird von Carl Goerdeler als Mittelsmann seiner Widerstandsgruppe
in den Verhören nach dem 20. Juli 1944 genannt, und diese Verhöre
sind längst publiziert (Archiv Peters 1970). Nach 1945 hat Freyer in
Leipzig den in Bonn abgelehnten marxistischen Historiker Walter Markov habilitiert,
der später, mit Jürgen Kuczynski in Berlin als Gegenfigur, zur
Historikerprominenz der DDR gehörte.
1933 - Zugriff der Politik - Abwehrmechanismen der Wissenschaft
Aus soziologischer Sicht ist die Wissenschaft als gesellschaftlicher Prozeß
zu denken, d.h. es ist herauszustellen, "welche Funktionen und Wirkungen
die Wissenschaft im gesellschaftlichen Prozeß hat bzw. unter welchen
gesellschaftlichen Bedingungen ihr diese Funktionen zugeschrieben werden
können" (Bühl 1974: 19). Das soll auf keinen Fall heißen,
daß Wissenschaft nur ein "Abbild der gesellschaftlichen Verhältnisse"
wäre (zu diesem ist sie gerade in geschichtlichen Rückblicken
oft degradiert worden), sondern es wird das Modell eines relativ selbständigen
Teilsystems zugrundegelegt, in dem die gesellschaftliche Definition und
Funktion von Wissenschaft und die immanenten logischen Konstrukte und wissenschaftstheoretischen
Definitionen relativ unabhängig variieren. Die Wissenschaftssoziologie
geht heute von einem sehr komplexen Zusammenwirken auf unterschiedlichen
Ebenen des inneren und des äußeren Systems von Wissenschaft aus
- ein Modell, das der Wissenschaft als eine der großen Institutionen
der modernen Industriegesellschaft seit Mitte des 19. Jahrhunderts am ehesten
entspricht. Die modernen Diktaturen im 20. Jahrhundert konnten weder auf
die Wissenschaft verzichten, noch diese Institution vollkommen unter ihre
Kontrolle bringen; die Förderung der Wissenschaften gehörte zu
ihrem politischen Programm (wenn auch nach ihren politischen oder weltanschaulichen
Vorstellungen), da der wissenschaftliche Fortschritt politische Macht und
internationalen Einfluß verlieh. Ab welchem Punkt das komplexe Zusammenspiel
von Wissenschaft und Politik mit seinen Prozessen der Kooperation, Konkurrenz,
Selektion von vordringlichen Aufgaben, von Personal, Kontrolle der Veröffentlichungen
usw., das in jeder modernen Gesellschaft in unterschiedlichen Varianten
stattfindet, pervertiert wird und zu einseitiger Machtausübung führt,
muß in jedem Einzelfall untersucht und begründet werden.
Bereits das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums"
1933, danach u. a. die bürokratische Macht der NS-Dozenten- und Studentenbünde,
die vornehmlich jüngere, karrierebesessene, aber wissenschaftlich mittelmäßige
Köpfe anzog, waren Perversionen des komplexen Wissenschaftssystems,
deren Folgen nicht nur im Verlust durch Emigration oder in der Rekrutierung
von nationalsozialistischen Parteigängern bestanden, sondern die sich
bis in die wissenschaftlichen Texte auswirkten, auch in solche, die als
nicht politisch relevant galten. Entstellungen der Wissenschaft in diesem
Sinne sind in den Verklausulierungen der inneren Emigration ebenso zu finden,
wie in der zweideutigen Alltagskommunikation von Kollegen, die sich seit
langer Zeit zu kennen glaubten. Es war ein schleichender Erosionsprozeß
der Wissenschaft, dessen Folgen weit in die Nachkriegszeit wirkten. Trotzdem
war auch in dieser "dürftigen Zeit" die Wissenschaft nicht
am Ende.
Im Prozeß der zunehmenden Unterhöhlung der wissenschaftlichen
Institutionen durch die Politik wird die Erhaltung des noch verbleibenden
"Restsystems" um jeden Preis zum Überlebensprinzip. Dabei
kommt es zu unvermeidlichen "Abwehrmechanismen" gegen die politischen
Übergriffe, die in allen modernen totalitären Regimes in ähnlicher
Weise auftreten. Sie haben die Funktion, das Wissenschaftssystem, wenn auch
unzulänglich oder entstellt, aufrechtzuerhalten und dem direkten politischen
Zugriff insgeheim auszuweichen - die Bildung von kleinen Verschwörergemeinschaften
der engsten Mitarbeiter, die bewußten Plagiate oder die Camouflage
brisanter Themen in Klassiker-Analysen gehören ebenso zu diesen wissenschaftlichen
Abwehrmechanismen, wie ein übertriebenes professionelles Verhalten
und Vokabular, mit dem politische Gegner ihre parteiideologischen Kämpfe
verbrämten, oder auch die beflissene Einhaltung bürokratischer
Regeln, um wenigstens ein Mindestmaß an wissenschaftlicher Arbeit
voranzubringen. Diese Abwehrmechanismen verursachen Schäden und sind
zu bedauern wie Krankheitssymptome, ihr Auftreten ist jedoch ebenso sicher
zu erwarten wie diese, wenn eine derartige politische Situation einmal eingetreten
ist.
Bei der institutionellen Gleichschaltung der Universitäten waren den
betroffenen Wissenschaftlern kaum Handlungsspielräume gegeben; die
Maßnahmen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums,
die Beschneidung der Rechte der Fakultäten, die Einführung des
"Führerprinzips", d.h. die Aufhebung der Wahlen des Rektors
bzw. der Dekane usw. waren eindeutige Vorschriften und konnten nur auf informellen
Wegen gemildert werden. Das wurde in Leipzig häufig praktiziert, sei
es durch nachlässige Bearbeitung des Ariernachweises, durch Hervorhebung
der Teilnahme am 1. Weltkrieg, politischer Verdienste, oder des sozialen
Engagements eines gefährdeten Kollegen, oder z. B. auch durch informelle
Beeinflussung bei der Ernennung der Dekane. Hans Freyer hat in dieser Zeit
mit großem Geschick die Rolle des savant prudent eingenommen,
die ja taktisches Denken, Schläue und List nicht ausschließt5. Auf der institutionellen
Ebene kann man Freyer also kaum zur Gallionsfigur des Nationalsozialismus
erklären. Da auch die persönliche Biographie keine Anhaltspunkte
ergab, bleibt also noch sein wissenschaftliches Werk zu untersuchen. Es
war hauptsächlich seine Pallas Athene. Ethik des politischen Volkes
(1935), sowie seine Schriften Revolution von rechts (1931), Der
Staat (1925) und seine Aufsätze zum Volksbegriff zwischen 1928
und 1934, die in der Nachkriegsrezeption als Nachweis herangezogen wurden,
daß er die nationalsozialistische Ideologie vorbereitet bzw. unterstützt
hätte.
Volk als Rasse oder "Volk als Tat"?
Der Volksbegriff als Krisenbewältigung der Moderne.
Es sollte nicht unbeachtet bleiben, daß Freyers Reflexionen über
den Volksbegriff auf einem langfristigen wissenschaftlichen Diskurs aufbauen.
Die Weiterführung von Hegels Phänomenologie des Geistes und seiner
Rechtsphilosophie, die Verarbeitung von Fichtes und Lorenz von Steins Staatslehre,
die Einbeziehung der Werke von Dilthey und Simmel, Max Webers politischer
Soziologie und nicht zuletzt der damals höchst aktuellen Wissenssoziologie,
müssen als Gegenstand einer Theorieanalyse (Üner 1992) hier ausgeklammert
bleiben. Jedoch kann eine dokumentarische Skizze der wissenschaftlichen
Diskurse um den Volksbegriff seit dem 19. Jahrhundert und deren Synergieeffekte
mit sozialen und politischen Umwälzungen zur genaueren Bestimmung dienen,
wie die Schnittpunkte von langfristigen wissenschaftlichen Diskursen mit
politischen Ereignissen die Deutungen des Volksbegriffes beeinflußt
haben.
Nach dem 1. Weltkrieg, als Folge des Zusammenbruchs der großen Reiche
- des russischen, des österreichisch-ungarischen sowie des osmanischen
- stand in ganz Europa die Diskussion um die Volksgemeinschaft im Mittelpunkt.
Einerseits wurde die eigene Geschichte und Kultur, Sprache und Traditionen
des jeweiligen Volksgemeinschaft aus der Zeit vor der Einbindung in die
Großreiche als die eigentliche historische Identität und gemeinschaftsbindende
Kraft wieder in Erinnerung gerufen; andererseits wurden aber durch Friedensverträge
neue staatliche Einheiten gebildet, die wiederum unterschiedliche ethnische
Minderheiten umfaßten; z.B. wurden ehemals ungarische Gebiete der
neuen Tschechoslowakei oder Rumänien eingegliedert, oder deutsche Minderheiten
kamen erneut zu Frankreich. Das Problem der Nationwerdung (nation building)
beschäftigte das zerstückelte Europa und hat der facettenreichen
Diskussion des Volksbegriffes in den zwanziger Jahren, die sich zwischen
den Extremen biologisch-rassistischer Positionen einerseits und einer expressionistisch-humanistischen,
oder auch sozialistischen Weltgemeinschaft andererseits bewegte, einen äußerst
aktuellen politischen Gehalt gegeben. Es ist dabei zu betonen, daß
diese polarisierte öffentliche Diskussion im Rahmen neuer, die jeweiligen
Monarchien ablösender republikanischer Staatenbildungen stattfand,
und somit die Vision einer neuen "res publica" der modernen Massengesellschaft,
für die alle bisherigen historischen Beispiele als unzulänglich
angesehen wurden, auch hinter diesen Kontroversen nach dem 1. Weltkrieg
stand. Diese republikanische Idee wurde im kontinentalen Europa jedoch im
Laufe der zwanziger Jahre zunehmend durch moderne Diktaturen6 propagiert, die sich in unterschiedlichen
Varianten der Idee eines plebiszitären Führerstaates verpflichtet
sahen und insgesamt als Retter der Volksherrschaft, oder der "wahren
Demokratie" auftraten. Das Konzept einer biologischen Rasse oder einer
ausschließlich durch Geburt bestimmten Volksgemeinschaft blieb dabei
ein Außenseiterthema; wenn auch die zeitgenössische expressionistische
Literatur euphorisch von "Volk" "Blut" und "Rasse"
sprach, oder Hans Freyer in seiner kulturphilosophischen Staatstheorie die
Heilighaltung der Rasse (1925: 153) als wichtigste Aufgabe der Macht verkündete,
so waren das symbolische Exaltationen für eine durch gemeinsame Geschichte,
Sprache und Traditionen übermittelte Kultur.
Man kann diese Diskussion als einen Durchbruch in das öffentliche Bewußtsein
und als krisenbedingte Steigerung und Popularisierung ausgedehnter wissenschaftlicher
Diskussionen aus dem 19. Jahrhundert über "Volk als Rasse"
und dessen Gegenbegriff "Volk als Tat" bezeichnen7. Das Zusammentreffen von wissenschaftlichen
Erkenntnissen, die Übertragung eines wissenschaftlichen Modells einer
Disziplin in eine andere, und die Popularisierung der wissenschaftlichen
Erkenntnisse durch Medien, soziale Bewegungen und Politik können zu
unerwarteten Synthesen führen: z. B. wurde das darwinistische Prinzip
der Evolution der Natur durch Selektion übertragen auf historische
Prozesse als Wettbewerbsprinzip: Fortschritt durch Veredelung und Auslese
der Völker; damit erschien eine Reduzierung vom kulturellen Fortschritt
der Menschheit auf den der Nation gerechtfertigt. Oder es kam zu einer politische
Synthese eines biologischen Rassebegriffes mit der kulturellen Herkunft,
die vor allem durch den immensen wissenschaftlichen Ausbau der Philologie
im 19. Jahrhundert: Slawistik, Germanistik, Romanistik, etc. ausgelöst
wurde. Im Zuge der politischen Nationalbewegungen ging aus dieser wissenschaftlichen
Differenzierung ein neuer Urmythos hervor: Dadurch, daß Ergebnisse
vergleichender Sprachforschung,nämlich die Verflechtungen verwandter
Sprachen, auf ethnische Gebilde übertragen wurden, ergaben sich aus
Sprachfamilien Völkerfamilien, deren Stammesursprung nun wissenschaftlich
erforscht werden sollte. Diese Suche nach dem "Urvolk" schlug
sich politisch in den zahlreichen "Pan-Bewegungen" nieder - Panslawismus,
Pangermanismus etc., und die damit verbundene wissenschaftliche Erforschung
von Wanderungsbewegungen führte wieder zurück zum Problem der
"Rasse". Deshalb konnten bei der Gründung der "Société
Ethnologique" in Paris 1839 Programm und Ziele dieser Vereinigung als
Elemente der Rassenforschung bezeichnet werden (Brunner u.a.1972 f., Bd.
5: 157-159), während die Ethnologie Ende 1920 als reine Kulturwissenschaft
verstanden wird8.
Wenn auch der biologische Rassebegriff in den Sozialwissenschaften der Weimarer
Zeit nur noch periphere Bedeutung hatte (die "Geschichte als Rassenkampf"
war wissenschaftlich nicht mehr zu vertreten), so bestimmte er als Amalgam
von Rasse-Urvolk-Urkultur nach wie vor die öffentliche Diskussion in
Bewegungen z.B. des Zionismus, oder des Alldeutschtums, wie auch in der
expressionistischen Literatur, die allesamt damit auch eine wissenschaftliche
Grundlage für ihre Ziele beanspruchen konnten. Die auf den biologischen
Rassebegriff konzentrierte Spezialdisziplin der Eugenik, in der die amerikanischen
Humanwissenschaften die Vorreiter waren, wurde von Erneuerungsbewegungen
- sowohl rechter wie linker politischer Couleurs - ebenfalls popularisiert
und "voluntarisiert": die Planbarkeit des Erbes versprach Befreiung
aus dem Zustand des Ausgeliefertseins an die Natur und verhieß bewußte
Gestaltung - des germanischen oder auch des sozialistischen freien Menschen.
Es ist wissenschaftgeschichtlich zu wenig aufgearbeitet, wie sehr die junge
Disziplin der Bevölkerungswissenschaft der zwanziger Jahre in Verbindung
mit der Eugenik gerade von linken Bewegungen gefördert und in die politische
Arbeit einbezogen wurde. Der wissenschaftliche Referent im sozialdemokratischen
sächsischen Kultusministerium, Karl Valentin Müller, in den Fächern
Geschichte, Nationalökonomie und Statistik an der Universität
Leipzig promoviert, verfaßte 1927 im Auftrag der Gewerkschaftsbewegung
die Schrift Arbeiterbewegung und Bevölkerungsfrage, mit dem
Untertitel: Eine gemeinverständliche Darstellung der wichtigsten Fragen
der quantitativen und qualitativen Bevölkerungspolitik im Rahmen gewerkschaftlicher
Theorie und Praxis; die Kapitelüberschriften reichen von der Gesellschaftsbiologie
über Arbeiterbewegung und Rassenhygiene bis zu Siedlung und Wanderung
als Lohnbestimmungsgrund.
Der mit der Idee der Planbarkeit einer Gesellschaft verbundene Voluntarismus
konnte ohne weiteres mit dem Konzept des "Volkes der Tat" verschmelzen,
das aus den konstitutionellen Bewegungen Anfang des 19. Jahrhunderts stammt:
Das Volk, das aus dem gegenwärtigen Zustand der Unmündigkeit heraustritt
und sich eine gemeinschaftlich erarbeitete Constitution gibt, die nun die
Kräfte der einzelnen zu einem geschichtlichen Ziel der Volksgemeinschaft
vereinigt9. In
euphorische Hoffnungen steigerte sich diese Volksdiskussion in der Literatur
des politischen Expressionismus der Zeit: Das Individuum ist gefallen. Das
Volk steht auf, der Mensch und das Volk, beide wollen eins sein - sie wollen
Menschheit sein. Die Vernichtung des Eins, um das All zu sein, ist der Sinn
der namenlosen Erschütterung, die Menschen und Völker der Gegenwart
umgestaltet (Lothar Schreyer); Masse wird als "wirkendes Volk"
(Ludwig Rubiner) oder als "verschüttet Volk" (Ernst Toller)
beschworen, aus deren Trümmern sich das Volk als höhere freie
Gemeinschaft erheben wird (Üner 1981: 135-141).
Derartige Begriffssynthesen führen dazu, daß es in der wissenschaftlichen
Rezeption, den Expertisen und in der Anwendung ihrer Ergebnisse, immer schwieriger
wird, die Begriffe und Resultate sauber zu trennen. Auch innerhalb der wissenschaftlichen
Diskussion herrschen dann die Analogieschlüsse, die Übertragung
der Modelle auf andere Disziplinen vor. Nun sollte das nicht von vorneherein
als Defizit bewertet werden. Um ein "Darüber-hinaus" über
den bisherigen Wissensstand der eigenen Wissenschaft zu erreichen, die Verhärtungen
der eingefahrenen Theorien aufzubrechen, müssen die disziplinären
Grenzen überschritten werden, um neue Inspirationen aus Entdeckungen
anderer Gebiete zu gewinnen und sich neuen Aufgaben aus dem politisch-sozialen
Umfeld zu stellen. Gerade in Zeiten des krisenhaften Wandels wird auch ein
Wissenschaftsverständnis vorherrschen, das gekennzeichnet ist durch
Gegenerschaft den Traditionen der etablierten Disziplin gegenüber -
die "Wissenschaft als Bewegung" (Üner 1992: 16-19), die nicht
mehr die "Reform" des Bestehenden, sondern eine "Revolution"
im Sinn des "Umsturzes der Werte"10
anstrebt, die eine neue "Weltsicht" und den ethischen Appell in
den Vordergrund stellt. Eine ins Detail gehende logisch-analytische Diskussion
ist noch gar nicht möglich, weil dem alten Wissenschaftsverständnis
noch kein neues entgegengesetzt werden kann - und auch nicht soll, denn
man will ja aus der Verhärtung des bisherigen Systems herauskommen.
Gerade deshalb wird eine große Ausdehnung der wissenschaftlichen Bestrebungen
auf andere Disziplinen und auch auf religiöse, künstlerische und
soziale Erneuerungsbewegungen möglich. Die "Wissenschaft als Bewegung"
ist keinesfalls als zweitrangig einzustufen, sie bleibt neben der sogenannten
"Expertenwissenschaft" eine konstitutive Komponente jeder Wissenschaft;
denn hohe Spezialisierung bedeutet immer auch Erstarrung und Senilität,
die wieder aufgebrochen werden muß.
In diesen kaum mehr entwirrbaren Verflechtungen von wissenschaftlicher Diskussion
und Aufbruchsparolen der sozialen Bewegungen sind die ersten wichtigen Arbeiten
Hans Freyers zur Geschichts- und Kulturphilosophie (1921, 1923), zum Staat
als Kultursystem (1925) und zum Begriff des "politischen Volkes"
entstanden. Freyer ging in seinen frühen Schriften während der
Weimarer Republik, anknüpfend an Hegels Volksgeist, vom Volk als kulturelle
Konkretion bzw. vom Staat als Einheit der Gesamtkultur aus (1966: 129 ff.)
- wie übrigens auch sein Leipziger Kollege Theodor Litt, der ebenfalls
Staat und Volk als "Wesensgemeinschaft" idealisiert, in der eine
Ineinssetzung von Individuum und Gemeinschaft stattfände (Litt 1919:
171 ff.). Eine unpolitische Flucht in eine höhere Realität ist
bei keinem von beiden intendiert, denn sie knüpfen doch sehr dezidiert
an eine die deutsche Reichsgründung begleitende politische Diskussion
um die Kulturnation an: Mensch und Volk einander zugeordnet, Volk ist durch
Führung geschaffen, jedoch wird - nun im Denkstil der Weimarer Reformen
- Führung mehr eine Leistung der geführten Schar, als eine Leistung
des Führers; je weiter der Schaffensprozeß fortschreitet, desto
mächtiger wird das Werk, um so ohnmächtiger sein Täter (Freyer
1925: 108 f.). Die in den zahllosen kulturellen Erneuerungsbewegungen des
Expressionismus, der Jugendbewegung, der Arbeiterkultur etc. artikulierten
Konflikte zwischen Mensch und Masse, Natur und Kultur, Kultur und Geschichte,
Geist und Macht, vereint Freyer als Kulturphilosoph in seinen Werken bis
1925 mit gleichem expressionistischen Pathos (Üner 1981) zu einer eher
integrationistischen dialektischen Theorie der Sinnzusammenhänge, der
Objektivationen der Kulturwirklichkeit, während er ab 1925, nun als
Ordinarius der Soziologie11,
die soziale Wirklichkeit als Handlungszusammenhang und Entscheidungsprozeß
in den Vordergrund stellt. Die Schriften vor und nach 1925 können durchaus
als komplementäre Analysen der gesellschaftlich-kulturellen Welt betrachtet
werden. Die Komplementarität bezieht sich dabei nicht auf die Untersuchungsgegenstände
- es handelt sich nicht um die Analyse von Kulturphänomenen einerseits
und die Untersuchung gesellschaftlich-politischer Erscheinungen andererseits,
sondern um zwei komplementäre wissenschaftliche Betrachtungsweisen
ein- und desselben Lebenszusammenhangs. Bemerkenswert ist - wirkungsgeschichtlich
gesehen - wie zeitgleich der Wechsel Freyers vom Lehrstuhl für Philosophie
in Kiel zum Ordinariat für Soziologie in Leipzig (den er ja nicht maßgeblich
beeinflussen konnte) und damit der Wechsel seiner wissenschaftlichen Aufgaben
mit einer verstärkten Kulturpolitik zusammenfällt, in der man
durch Erwachsenenbildung, Volksbibliotheken, Volksmusikbewegung, Arbeiter-
und politische Bildung das "Werden" des Volkes voranbringen wollte.
Hans Freyers Begriff des "politischen Volkes".
Zusammenfassend kann man Freyers "Volk" als politischen Begriff
- im Kontext der aktuellen politischen Turbulenzen deutlich vom Volksbegriff
in seiner Kulturphilosophie bis 1925 unterschieden - als dynamische und
handlungsorientierte Kategorie bezeichnen, die der gegenwärtigen politischen
Gemeinschaft im revolutionären Wandel entsprechen sollte: Das "politische
Volk" ist nach Freyers historischer Einordnung eine Erscheinung der
Moderne, erstmals möglich geworden im Zeitalter der Aufklärung
und durch die darauf folgenden Säkularisierungsbewegungen in allen
Wissensbereichen der sich konsolidierenden Industriegesellschaft im 19.
Jahrhundert; der Begriff "politisches Volk" steht für eine
neue, nicht mehr auf organisch gewachsenen kulturellen Traditionen oder
auf unveränderbaren staatlichen Institutionen begründete politische
Gemeinschaft, die erstmalig in der Menschheitsgeschichte dazu fähig
ist, sich von pseudo-theologischen, von oben oktroyierten politischen Heilsmythen
und von überzeitlichen "ewigen Werten" des Staates zu emanzipieren,
und durch gemeinschaftliches politisches Handeln sowie durch eine dieses
Handeln ständig begleitende wissenschaftliche Selbstreflexion, die
ihr in ihrer jeweiligen historischen Lage gemäße Staatsform hervorzubringen
(Freyer 1931b, 1933). Die wissenschaftliche Selbstreflexion dieser modernen
politischen Gemeinschaft hat sich nach Freyer in der Soziologie bereits
institutionalisiert - eine Disziplin, die ebenfalls erst durch die Epoche
der Aufklärung möglich geworden sei als "Wirklichkeitswissenschaft"12.
Das Neuartige an Freyers Begriff des "politischen Volkes" nach
1925 bestand darin, daß er den Akzent auf Tat und Entscheidung, damit
verbunden den Machtaspekt der Führung, vor ihre kulturelle Leistung
setzte. Dieser Begriff hat nichts mehr mit kleinen Stammesgesellschaften,
oder mit kultur- und lebensweltlichen Aspekten zu tun, die für Ethnologen
bedeutsam sein könnten. Freyers Volksbegriff wurde nach 1933, trotz
seines Aktivismus und seiner Hervorhebung des Führertums, von den nationalsozialistischen
Zeitgenossen keineswege als Artikulierung ihrer "Bewegung" begrüßt
- im Gegenteil vermißte man ein biologisch-rassistisches Fundament
bzw. eine Volkstheorie, die auf dem Prozeß des organischen Wachstums
als Entfaltung von vorneherein gegebener Anlagen gegründet sein müsse.
In einem vernichtenden internen Gutachten der NS-Kontrolle kreidete man
Freyer an, daß sein Postulat, die Nation sei das Volk des 19. Jhdts,
eine Historisierung und Soziologisierung des Volksbegriffes bedeute. Man
schloß (vollkommen zutreffend) daraus, daß Freyer "Volk"
jeweils in unterschiedlichen historischen Erscheinungen verstünde,
daß "Volk" also immer neue staatliche Strukturgedanken aus
sich hervorbringen könne, und folgerte, daß nach Freyers Lehre
heute an Stelle des Nationalsozialismus auch der Marxismus die Lage beherrschen
könnte. Diese Historisierung des Volksbegriffes und darüberhinaus
Freyers dezidierte Parteinahme für die idealistische Geschichtsphilosophie
"kann in diesem Zusammenhang nur so gedeutet werden, daß eine
auf die Biologie gegründete nationalsozialistische Geschichtsphilosophie
in ihrer Möglichkeit und Notwendigkeit bestritten wird. Die Schrift
ist als marxistisch schärfstens abzulehnen". (Archiv IfZ München
1933).
Die Vorstellung des Volkes als organisch gewachsene Kultureinheit, wie etwa
Othmar Spann sie zur selben Zeit vertreten hat, konnte nach Freyers Ausführungen
höchstens für ständische Gesellschaftsformen vor der Aufklärung
und für das idealistische Konzept der Nationalkultur gelten, die eigentlichen
Problem der modernen Gesellschaft im Umbruch würden darin übergangen:
daß erstens das ganze Gewebe der Realbedingungen und Realfaktoren
ausgeklammert bleibe (Freyer 1930: 76); daß zweitens die heute erreichte
Individuation der Individuen geleugnet werde, die bei aller "Gliedhaftigkeit
eine unverlierbare Existenz" beanspruchen würde (und um der konstruktiven
Entwicklung der Gesellschaft auch beanspruchen solle) (Freyer 1930: 72);
daß drittens in Spanns universalistischem Modell der gegliederten
Ganzheit der Charakter der Offenheit der Geschichte geleugnet werde, da
er damit Entwicklung nur als Emanation von bereits Angelegtem verstehen
kann: "Jeder Emanatismus entwertet die konkreten Unterschiede und die
konkreten Beziehungen innerhalb der Erscheinungswelt zugunsten des gemeinsamen
Bezugs aller Erscheinungen auf die absolute Mitte. Jeder Emanatismus entwertet
insbesondere die zeitlich-geschichtlichen Veränderungen der Wirklichkeit
zugunsten ihrer metaphysischen Rangordnung [...]; die geschichtliche Veränderung
wird zur bloßen Oszillation. Die Wirklichkeit ist von Anfang präformiert;
[...] was sie außerdem zu sein scheint, ist Verfall oder Trug"
(Freyer 1929: 235).
Freyers methodologischer Grundsatz - die Historisierung aller, auch der
allgemeinsten soziologischen Strukturbegriffe (1931a: 124-129) - ist verbunden
mit einem neuen Geschichtskonzept der Emergenz, das im Gegensatz zu den
emanatistischen oder evolutionären Entwicklungsmodellen des 19. jahrhunderts
den Aspekt der Variation und Kontingenz in den Vordergrund stellt: In jeder
Situation sind mehrere Möglichkeiten der Weiterentwicklung angelegt,
und eine davon wird durch Handeln aktualisiert. Handeln bedeutet immer auch
Entscheidung, denn es kann niemals alles aktualisiert werden, was in der
Latenz angelegt ist. Das bedeutet auch, daß die gegenwärtige
Situation niemals vollständig aus der vergangenen erklärt werden
kann: es kann Entwicklungsbrüche, Gabelungen und Umwälzungen geben
(Üner 1992: 49 ff.). Dieses Geschichtsmodell der Diskontinuität,
das die schöpferische Aktualisierung durch die handelnde Gemeinschaft
hervorhebt, wurde in der Leipziger Geschichts- und Sozialphilosophie bereits
seit Mitte des 19. Jahrhunderts (Fechner, Wundt, Lamprecht) vorbereitet
und von Hans Freyer, Schüler von Karl Lamprecht und Wilhelm Wundt,
weiter entwickelt. Es ist theoretische Grundlage sowohl von Freyers politischen
Schriften um 1933, als auch von Freyers Überwindung einer evolutionären
Entwicklungsgeschichte zugunsten einer modernen sozialwissenschaftlichen
Strukturgeschichte nach 1945 (Schulze 1989: 283 ff.)
Hans Freyer sieht seine politische Gegenwart nach dem Zusammenbruch des
alten Europa im 1. Weltkrieg in einer Umwälzung, die dem Anbruch der
Moderne nach der französichen Revolution vergleichbar ist, und in der
sich die politische Gemeinschaft völlig neu zu bestimmen hat. Freyer
ist also durchaus ein Theoretiker der Revolution, wie Rammstedt hervorhebt.
Nur legt Freyer die Epochenschwelle nicht auf den Zeitpunkt 1933, sondern
auf den Anbruch der industriellen Gesellschaft im 19. Jahrhundert mit ihren
proletarischen Aufständen, der "Revolution von links", historisch
gebunden an die Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts; Akteur war damals
das Proletariat, das sich aus der materialistischen Entfremdung zu emanzipieren
suchte. Nun, in der Gegenwart der Weimarer Republik, kündigt sich für
Freyer die Antithese an: eine "Revolution von rechts" (1931b),
die keineswegs gegen die Revolution von links gerichtet ist, sondern im
Gegenteil diese im Sozialstaat der Bismarckzeit liquidierte, (26 f.), zu
einer selbstläufigen Dialektik der Produktionsverhältnisse irrtümlich
umgedeutete (10 f.) und zu einem Bekenntnis zur industriellen Welt umformulierte
(41) Revolution dialektisch weitertreiben und vollenden soll; gerade die
Eingliederung des Proletariats in das System der Industriegesellschaft habe
die neue revolutionäre Kraft erzeugt (37). Akteur sei jetzt nicht mehr
das Proletariat, das seine materiale Deprivation zu überwinden suchte,
sondern das "politische Volk", das jetzt um die vorenthaltene
politische Emanzipation kämpft und "die Geschichte des 20. Jahrhunderts
freimachen" wird (5).
Nicht dezidiert genannte zeitgeschichtliche "Folie" Freyers war
dabei sicher auch die russische Oktoberrevolution 1917, die weltweit mit
Faszination betrachtet wurde. Die Sowjetunion verzeichnete in diesen Jahren
erstaunliche industrielle Fortschritte, erschien 1931 als einzige politische
Macht unbehelligt von der weltweiten Wirtschaftskrise und hat als Modell
und Alternative gedient bei den Umstürzen der liberalen Demokratien
in fast allen europäischen Staaten (Hobsbawm 1995: 99f.) In dieser
Zeit erfolgte auch in der Sowjetunion eine Wendung der politischen Ziele
von der sozialistischen Internationale zur Respektierung der nationalen
Einheiten. Des weiteren erschien ein Jahr vor Freyers Revolution von rechts
die "Theorie der permanenten Revolution" von Leo Trotzki (1930);
es ist kaum von der Hand zu weisen, daß Freyer auch dazu eine Entgegnung
intendierte. Freyer schließt sich außerdem einer damals weit
verbreiteten öffentlichen Kritik an; den Parteien der Weimarer Republik
wurde nicht nur von den Konservativen, sondern auch von der politischen
Linken vorgeworfen, sie wären mit ihren Programmen im weltanschaulichen
Gedankengut des 19. Jahrhunderts steckengeblieben und daher unfähig,
die gegenwärtige Gesellschaft im Umbruch zu repräsentieren und
deren Ziele politisch umzusetzen.
Freyers "politisches Volk" ist also ein revolutionäres Volk:
"Nachdem die Gesellschaft ganz Gesellschaft geworden ist, alle Kräfte
als Interessen, alle Interessen als ausgleichbar, alle Klassen als gesellschaftliche
notwendig erkannt und anerkannt hat, erscheint in ihr dasjenige, was nicht
Gesellschaft, nicht Klasse, nicht Interesse, also nicht ausgleichbar, sondern
abgründig revolutionär ist: das Volk" (1931 b: 37). Eine
berühmte dialektische Formel von Karl Marx aufnehmend, versteht Freyer
das "Volk" als das "gründliche Nichts, von der Welt
der gesellschaftlichen Interessen aus gedacht, denn in dieser Welt kommt
es nicht vor; und das gründliche Alles, wenn man nach der Zukunft fragt,
die dieser Gegenwart innewohnt" (44). Das Recht einer Revolution kann
niemals durch eine Analyse der Stärkeverhältnisse bewiesen werden
- "man kann ein Nichts nicht messen, und ein Alles auch nicht"
- es gilt nur "Prinzip gegen Prinzip zu stellen: das Prinzip Volk gegen
das Prinzip industrielle Gesellschaft" (44). Mit derartig polarisierender
Dialektik wird immer eine genauere Definition, was nun "Volk"
im Gegensatz zu "Gesellschaft" bedeuten soll, umgangen, ja vielmehr
würde eine solche Definition für Freyer bereits den gefürchteten
Rückfall in längst überholte wissenschaftliche Konzepte bedeuten;
eine revolutionäre Entwicklungsdynamik kann nicht mit altbewährten
Begriffen erfaßt werden. So muß Freyer das "aktive Nichts"
als neues Prinzip der Geschichte vornehmlich mit negativen Bestimmungen
einkreisen:
- Das "politische Volk" ist nicht Nation, wie das 19. Jahrhundert
Volk verstanden und verwirklicht hatte, als Begriff, der "den Stolz
auf das geschichtlich Erreichte, die Gewißheit des geschichtlichen
Bestands und irgendeinen Willen zur Weltgeltung im zugemessenen Raum"
versinnbildlichte. "Das Bewußtsein eines unendlich reichen geistigen
Gemeinbesitzes schwingt mit. Alle Bildung schöpft aus diesem Besitz,
und das Bekenntnis zu ihm verpflichtet zum treuen Festhalten an der geprägten
geistigen Art, die ihn erwarb. Dieser Begriff des Volkes ist in der neuen
Lage der Gegenwart überwunden." (51).
- Das "politische Volk" hat mit "Urvolk" ebenfalls nichts
zu tun. Eine tiefer als der Begriff der Nation liegende Schicht: Volk als
"Urkräfte der Geschichte [...], Geister, die der Natur ganz nahe
waren[...], ein unmittelbares Dasein [...], Volk als Ahnungen und Verkündigungen
[...], bleiben für Freyer lediglich als unspezifische Sedimente gültig
und sollen als solche in den neuen Begriff des Volkes eingehen. "Nur
ist zu sorgen, daß nicht auch diese Schicht als unverlierbarer Besitz
und als naturhaft-selbstverständliches Sein erscheine"; denn dann
wäre die Wirklichkeit die ungetrübte Darstellung dieser zugrundeliegenden
Potenz, und Volk wäre "so etwas wie eine Weihnachtsbescherung"
(51 f.), auch hier erlaubt Freyer keinen theoretischen Emanatismus.
Die positive Bestimmung als neues Prinzip der Geschichte ist auffallend
vage - Freyer beschränkt sie auf Volk als "Sinn, der in der industriellen
Gesellschaft aufgeht", als "lebendiger Kern, um den sich die Mittel
des industriellen Systems zu einer neuen Welt zusammenfügen werden,
wenn es gelingt sie zu erobern" (1931b:52); da vom neuen Prinzip Volk
her eine totale Neuordnung der Welt erfolge, sei es nicht möglich,
die Struktur dieses "werdenden Volkes" jetzt schon genau zu bestimmen.
Gleichwohl stellt er der Soziologie drei konkrete Aufgaben: Es muß
gefragt werden "erstens nach der Struktur des herrschenden Systems,
innerhalb dessen sich die Revolution bildet; zweitens nach den Kräften,
die sich an dem neuen Gegenpol aufladen, nach ihrer Herkunft und nach der
Notwendigkeit, mit der sie ihm zuströmen; und drittens nach der Richtung,
die diesen Kräften und ihrer Revolution innewohnt" (53). Die Richtung
benennt er: "von rechts", jedoch wiederum nur negativ bestimmend,
daß Volk zum einen keine Gesellschaftsklasse wäre, daß
also rechts nicht die Fortsetzung der Revolution von links mit anderen Mitteln
sein könne; zum anderen könne rechts auch nicht Reaktion heißen.
Freyer nimmt den Begriff der Revolution beim Wort, wenn er immer wieder
hervorhebt, daß die Revolution quer durch alle bisherigen Interessengegensätze
hindurchbräche, weil hier ein umfassendes Freimachen aus dem alten
Gesamtsystem und eine totale Umordnung nach einer neuen Generalformel stattfinde
(54). Seine positive Definition des Schlagwortes "von rechts"
ist ebenso vieldeutig: Emanzipation des Staates. Der Staat, der in der Epoche
der industriellen Gesellschaft immer nur Beute, bestenfalls vorsichtiger
Schlichter der Wirtschaft war, wird in der Synthese mit dem politischen
Volk zum ordnenden Prinzip gegen die Industriegesellschaft. Auch von diesem
neuen Staat gibt Freyer keine politische Struktur oder Ordnung an, aber
sehr deutlich dessen Bedeutung als realer Faktor im Vollzug der Revolution:
Die Revolution von rechts läuft über den Staat, nicht in dem Sinne,
daß eine unterdrückte Gesellschaftsklasse sich des Staates taktisch
bemächtige, um ihre gesellschaftlichen Interessen durchzusetzen; vielmehr
das Volk wird Staat, erwacht zu politischem Bewußtsein, und
als "politisches Volk" wird es zum selbständigen Prinzip
gegen die wirtschaftlichen Interessen der Industriegesellschaft, ist also
die neue, alles umordnende Generalformel (61).
Es ist ein Modell des plebiszitären Führerstaates13, die Freyers Arbeiten zum "politischen
Volk" bis 1934 bestimmt. Ganz im Gegensatz dazu steht seine Schrift
Pallas Athene: Ethik des politischen Volkes 1935, die bestenfalls
eine Ethik des totalen Ausnahmezustandes genannt werden kann; mit dem "politischen
Volk" im obigen Sinn hat sie nichts mehr zu tun. Dies erscheint nur
noch als "Block des Volkes", an dem der Staatsmann wie ein Bildhauer
arbeitet (1935: 98). Die Maximen dieser Ethik sind nicht mehr generalisierbar,
vielmehr werden "Ethik" und "bürgerliche Moral"
gegeneinander ausgespielt, wird dem "Gewissen aus der Welt des kleinen
Mannes" ein Gewissen "mit politischem Format", eben Pallas
Athene, die "Göttin der politischen Tugend" gegenübergestellt
(30 f.), erinnert der Aufbruch in seiner Doppeldeutigkeit fatal an Vergewaltigung.
Das folgende Freyersche Zitat reicht von der magischen Beschwörung
bis zum blanken Zynismus und läßt kaum einen Interpretationsspielraum
offen. "Immer handelt es sich darum, im Leben [...] ein neues magisches
Zentrum aufzurichten, auf das die Menschen nun hinstarren, welcher Segen
von ihzm komme oder welches Unheil. Das ist eine Vergewaltigung der menschlichen
Natur, und die Menschen entgleiten der Politik immer wieder, weil sie mit
ihren eigenen Dingen so viel zu tun haben. Aber die Leistung der politischen
Tugend besteht darin, daß diese Vergewaltigung immer aufs neue gelingt,
so gründlich gelingt, daß die Erde nicht bloß Wohnhäuser
und nützliche Anstalten, sondern Tempel, Burgen und Paläste trägt.
Aus dem arbeitssamen und verspielten Menschenwesen [...] eine Heldenschar
zu machen für ferne Ziele, ihm, das gegen diesseitige Autoritäten
im Grund skeptisch ist [...], den absoluten Glauben an die sichtbare Macht
aufzuzwingen, ihm das so gerne lebt, den freiwilligen Tod zu versüßen
, ihm eine neue Ehre einzupflanzen, die nur Opfer kostet, kurz diese weiche
Materie in ein hartes Metall zu verwandeln, mit dem man stoßen und
schlagen kann - das ist die merkwürdige Alchimie, die immer neu erfunden
werden muß, wenn politisch etwas geschehen soll" (50 f.). Freyer
scheint hier nichts weniger als sein eigenes Werk und seine Gelehrtenkarriere
zu verraten, denn Die "Ethik des Willens" ist vor allem auch gegen
die theoretische Vernunft gerichtet, die Ausschau nach dem Ganzen hält,
und die Begründung sucht, damit aber die Tat begrenzen könnte.
(21 f.). Aus der kritischen Sicht der Emigranten wurde diese Kombination
von Desperado-Mentalität und hochgepriesener Fahnentreue mit den Verbrechen
des Dritten Reiches in Verbindung gebracht - René König und
Herbert Marcuse haben die politischen Konsequenzen klar herausgestellt (König
1975: 135 f., Marcuse 1936).
Dennoch ist nicht zu übersehen, daß es auch in dieser Schrift
eine zweite Sichtweise gibt, aus der bereits die Enttäuschung über
einen "zweitrangigen Principe", über die Geistlosigkeit der
an die Macht gelangten nationalsozialistischen Bewegung und das Denken in
"Räuberkategorien" zu entnehmen ist. "Es ist armselige
Romantik zu glauben, daß in der politischen Welt der Instinkt den
rechten Weg fände, und daß der Staatsmann um so genialer sei,
je mehr er sich auf sein Gefühl statt auf seinen Verstand verlasse
[...]" (112). Und eines erläßt die Göttin der politischen
Tugend ihren Lieblingen nicht: "daß ihre Handlungen Adel. Reinheit
und die Spannung des guten Gewissens haben [...] Wer beim ersten Schritt,
den er aus der Welt der bürgerlichen Arbeit heraustut, dem Kitzel der
Zwecke, die die Mittel heiligen, verfällt und sich höchst politisch
dünkt, wenn er aus großen Niederträchtigkeiten eine kleine
Intrige zusammensetzt, beweist damit nur, daß er lieber in der Welt
der bürgerlichen Arbeit hätte bleiben sollen. [...] Ein Principe
aus zweiter Hand ist immer nur eine traurige oder je nachdem eine lächerliche
Figur" (30 f.) - das konnte kaum ein Aufruf zur Konsolidierung der
1935 gegebenen Verhältnisse sein. Eine Deutung dieser Schrift, die
sich nicht zu einem konsistenten Bild zusammenschließt, ist ohne Nachweis
der Adressaten, die Freyer ansprechen wollte, nicht möglich. Als Aufruf
zur nationalsozialistischen Revolution kam sie 1935 um einige Jahre zu spät.
Der von Freyer ursprünglich gewählte Untertitel Ethik der konservativen
Revolution, der vom Verleger Niels Diederichs als zu brisant korrigiert
wurde (Universitätsarchiv Jena), nennt allerdings die Adressaten. War
die Schrift Antwort auf die Mordaktion der Gestapo und SS am 30. Juni 1934
an Ernst Röhm, Schleicher, Gregor Strasser und anderen Feinden, derer
sich Hitler damit entledigt hatte - war sie konzipiert, um eine "Zweite
Revolution" einzuleiten? Dafür spricht Freyers Stil, der mehr
einem Kreuzzugsaufruf als einer ethischen Abhandlung entspricht, aber es
gibt bisher keine Nachweise einer Verbindung Freyers zu dieser Gruppe. Freyer
hatte nie Sympathien für die Wehrverbände der Parteien während
der Weimarer Republik gehegt, und so wird er wohl kaum eine Unterstützung
des Machtkampfes der SA bzw. Ernst Röhms gegen die SS intendiert haben.
Welche konkrete politische Bewegung er mit der "Pallas Athene"
zur Aktion aufrufen wollte, kann zur Zeit noch nicht nachgewiesen werden.
Diese Schrift stellt einen paradigmatischen Fall dar für die anfangs
erwähnten "Abwehrmechanismen" des geistigen Schaffens in
totalitären politischen Systemen. Als heimliche Botschaft einer Verschwörergemeinschaft
konnte sie nur von den Eingeweihten entziffert werden. Sowohl René
König (1975) als auch Herbert Marcuse (1936), die Deutschland verließen,
haben sie als Fanfare für den Nationalsozialismus gelesen, und auch
alle nicht zum engsten Kreis um Freyers zählenden Kollegen konnten
sie nur als solche einschätzen. Die Schwierigkeiten der Interpretation
liegen offenbar darin, daß hier Innen- und Außenperspektive
weit auseinandertreten. Aus der Innenperspektive der Beteiligten verstanden,
stellte die reine Willensethik mit ihren Kategorien "Tat" und
"Entscheidung", die schon bei Fichte gewissermaßen als Kategorien
des Widerstands literaturfähig gemacht worden sind, keineswegs eine
Äußerung der politischen Reaktion oder eine Festschreibung der
bestehenden Verhältnisse dar, sondern konnten die noch aufrechterhaltene
Hoffnung in die Kraft des politischen Volkes oder eines echten politischen
Führers beschwören. Das Verhängnisvolle daran ist, daß
sowohl NS-Gegner wie NS-Kämpfer in der gleichen Umwelt an die gleichen
Adressaten die gleiche Sprache sprechen mußten. Solange ihre Schriften
noch in Deutschland publiziert wurden, konnten auch die Gegner ihre Botschaften
nur in den gleichen Allegorien verstecken. Aus der Außenperspektive,
entweder in der Emigration oder im zeitlichen Abstand, verliert man den
Sinn für den zeithistorischen Kontext, sieht man keine Notwendigkeit,
in Allegorien zu sprechen - also kann den Botschaften nur ihr aktueller
Sinn, von außen gesehen, unterstellt werden; und der ist eben Aktivismus,
Gewalt und Diktatur.
Für die Wirkungsgeschichte war Freyers Pallas Athene zweifellos
die verhängnisvollste Schrift seines Gesamtwerkes, denn sie bildete
die Folie, auf die seither Freyers Gegner sowohl seine frühen, wie
auch die späteren Werke projizierten. Es wurde nicht mehr erkannt,
daß Freyers Pallas Athene aus der werkimmanenten Entwicklung vollkommen
ausbricht, daß er, wie oben dargelegt, zur gleichen Zeit die Reziprozität
von Herrschaft und Volk konzipiert hat und die Aufgaben der Wissenschaft,
entgegen der Pallas Athene, mit Verve vertreten hat. Deshalb soll nun die
Betrachtung wieder zu dieser zurückkehren.
1 Zum Schüler- und Kollegenkreis
Freyers in Leipzig vgl. Üner (1981); zur Weiterführung seines
Ansatzes Üner 1992: 93-96, 101 f.,114-117 u.a.
2 Die Verhandlungen Freyers können
nur aus den Nachlässen von Ferdinand Tönnies und Werner Sombart
rekonstruiert werden, denn die Akten der Deutschen Gesellschaft für
Soziologie aus dieser Zeit sind im Krieg verbrannt. Auch Freyers gesamte
Unterlagen wurden im Angriff auf Dresden 1945 zerstört. Die genauen
Briefstellen würden hier zu weit führen; sie werden in einer umfangreicheren
Arbeit dr Autorin über die Wirkungsgeschichte der Soziologie Hans Freyers
erscheinen.
3 Über die Verunsicherung bezüglich
Freyer Theodor Litts Briefe u.a. an Eduard Spranger (Nachlaß Litt,
jetzt in der Theodor Litt-Forschungsstelle der Universität Leipzig),
außerdem Gespräche der Autorin mit Fritz Borinski 1982.
4 Gespräch der Autorin mit Prof.
Kurt Lenk 1994, der bestätigte, daß er dies von Heinz Maus persönlich
erfahren hätte.
5 Der plötzliche Anbruch einer
neuen Situation und Das vorsichtige institutionelle "Navigieren"
Freyers 1933 ist am ausführlichsten dargestellt bei Diesener 1995.
Konzessionen Freyers bei Dissertationen oder Habilitationen sollen nicht
ausgeschlossen bleiben - sie gehören zu diesem Navigieren. Von emigrierten
Schülern, auch z. B. von Theodor Litt wird nach 1945 bestätigt,
daß Freyer "immer anständig geblieben" sei; alleine
diese Wortwahl belegt, wie auswegslos und entwürdigend die Situation
für alle Beteiligten war.
6 Anfang der dreißiger Jahre
war das Modell einer parlamentarischen Demokratie nicht mehr ausschlaggebend
in
Europa. Italien, Ungarn, Jugoslawien, Polen, die Sojetunion, die Türkei,
Spanien hatten diktatorische Regime (in verschiedenen Varianten). Die einzigen
europäischen Staaten, in denen eine konstitutionellen Demokratie in
der ganzen Zwischenkriegszeit ohne Unterbrechung funktionierte, waren Großbrittannien,
Finnland (mit Einschränkungen), der Freistaat Irland, Schweden und
die Schweiz - während um 1918 nach der Katastrophe des Krieges die
Institutionen der liberalen Demokratie auf dem Vormarsch waren. Vgl. Hobsbawm
1995: 145.
7 Nur einzelne Stichpunkte werden
hier genannt aus den Artikeln "Rasse" und "Volk" in
Brunner/Conze/Koselleck 1972 f: Bd. 5 bzw. 7.
8 Vgl. z. B. die Rubriken der Zeitschrift
für Völkerpsychologie und Soziologie, herausgegeben von Richard
Thurnwald, in denen neben der biologischen Rassenforschung die Ethnologie
als Kulturwissenschaft berücksichtigt wird - ein Paradigmenwandel in
der Ethnologie.
9 Der Begriff "Volk der Tat"
wurde im begriffsgeschichtlichen Artikel "Verfassung" den konstitutionellen
Ideen zu Beginn des 19. Jahrhunderts zugeordnet. Vgl. Brunner u.a. 1972
f., Bd 6: 876.
10 Unter diesem Titel hat der Philosoph
und Anthropologe Max Scheler seine Aufsätze der auch wissenschaftlich
sehr bewegten Jahre 1911-1914 vorgelegt( Scheler 1972).
11 Freyer erhielt den 1925 an der
Universität Leipzig begründeten ersten Lehrstuhl in Deutschland
für Soziologie ohne Beiordnung eines anderen Faches. Der damalige preußische
Kultusminister, Carl Heinrich Becker, der die kulturelle Volkwerdung sich
ebenfalls zur Lebensaufgabe machte und folglich nie einer politischen Partei
beitrat, der unter vermutlichem persönlichen Einfluß Hans Freyers
die Soziologie als Leitwissenschaft der Weimarer Reformen verstand, hat
sich maßgeblich für die Berufung Freyers nach Leipzig eingesetzt,
ebenso
wie der sozialdemokratische sächsische Hochschulreferent Robert Ulich.
12 Den Begriff und das Wissenschaftsverständnis
hat Freyer aus Max Webers Wissenschaftslehre übernommen, aber dann
historisch-existenzialistisch zugespitzt; s. hier S. 27 ff.
13 Das Verhältnis zu Trotzkis
"permanenter Revolution" ist also schwer zu bestimmen. Einerseits
ist der Staat als revolutionärer Akteur das Gegenteil zur Auffassung
Trotzkis; andererseits ist im Volk, das sich ständig neu zu "Staat"
formieren soll, Trotzkis permanente revolutionäre Dynamik auch mit
enthalten.
14 Die Gleichsetzung Rammstedts
von Freyers Diktum, daß "Rasse ihren Ursprung und ihr Recht nur
in bezug auf Volkstum" habe, mit dem biologischen Rassebegriff der
"Deutschen Soziologen" (30, Fußnote 24), d.h. mit H.F.K.
Günther, Reinhard Höhn, Ernst Krieck usw, ist eine Verdrehung
des Sinns. Freyer sagt damit genau das Gegenteil: daß Rasse als biologischer
Begriff für das Volk, da es Kulturgemeinschaft ist, sinnlos sei, daß
man den Begriff "Rasse" nur in bezug auf Volkstum, d.h. auf langfristig
vermittelte Geschichte, Sprache, Kultur, verwenden könne. S.a. den
o.a. expressionistischen Begriff der "Rasse".
15 Hier kommt auch er zurück
auf eine ausgewogenere Balance von strukturellen Gegebenheiten, Entwicklungsprozessen
und Aktualisierung durch politisches Handeln, indem er den Staat allein
noch durch die Wohlfahrt des Individuums und durch die langfristige positive
Entwicklung der Gesellschaft gerechtfertigt sieht. Angesichts einer vollkommen
pervertierten politischen Macht hatte der Begriff des "politischen
Volkes" als neue generative Generalformel seine Berechtigung gänzlich
verloren, während er in der Aufbruchseuphorie der zwanziger Jahre,
im Diskurs mit Existenzialismus, Phänomenologie und
Neukantianimus eine wichtige Alternative darstellte, auch wenn
der theoretische Anspruch letztlich nicht zu erfüllen war (Freyer 1986
b).
Aron, Raymond
1935 La Sociologie Allemande Contemporaine. Paris: Felix Alcan.
Becker, Carl Heinrich
1925 Vom Wesen der deutschen Universität. Leipzig: Quelle &
Meyer.
Brunner, Otto / Werner Conze / Reinhard Koselleck (Hrsg.)
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