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Kulturtheorie an der Schwelle der Zeiten

Exemplarische Entwicklungslinien der Leipziger Schule der Sozial- und Geschichtswissenschaften.

(in: Archiv für Kulturgeschichte, 80. Bd., Heft 2, 1998, S. 375-415)


I. Der Leipziger Positivismus um die Jahrhundertwende: Entwicklungsgesetze der Kultur, Kollektivbegriffe und übernationaler Universalismus.


"Den Gang und den Sinn der Weltgeschichte zu erfassen", das dürfte vor allem in Zeiten des Umbruchs zur "ewigen Sehnsucht des Menschengeschlechts" erhoben werden. Denn gerade da würde - so argumentierte der Leipziger Historiker Walter Goetz 1931 - eine "dramatische Geschichtsschreibung" die Kapitulation der Wissenschaft bedeuten, da sie ja den Gang der Ereignisse als einmalige Aufführung politischer Heldengestalten abrollen lasse, die jegliche verallgemeinernde wissenschaftliche Erklärung ausschließe und so den Zeitgenossen den gegenwärtigen Machthabern und ihren Entscheidungen auf Gnade oder Verderben ausliefere. Eine wissenschaftliche Weltgeschichte müsse "das Ziel haben, die Gleichmäßigkeiten der Menschheitsentwicklung festzuhalten, diejenigen Gesetze zu finden, die auch die Freiheit des Individuums bezwingen und die für die Entwicklung der Kultur bestimmte Stufen des Aufstiegs und des Niedergangs bezeichnen". Zwischen den verschiedensten Kulturen sind für Goetz "so zahlreiche Berührungspunkte vorhanden, daß man an ihnen allen den Aufstieg der menschlichen Kultur wie an einem großen Ganzen beobachten kann. Und wer vermöchte zu bestreiten, daß diese getrennten Kulturkreise in den neuesten Zeiten in immer engere Verbindung treten, etwa zu einer
letzten Einheit hin?"1 Diese Hoffnung sprach Goetz in einer Zeit politischer Orientierungslosigkeit aus und brachte als Beitrag zur zukünftigen Einheit seine "Propyläen-Weltgeschichte" heraus.

Walter Goetz betraute seinen jüngeren Leipziger Kollegen, den Soziologen Hans Freyer, mit der theoretischen Einleitung zu diesem Werk, der darin im Anschluß an Nietzsche die Zweifel der jüngeren Generation ausdrückt: "Alles Leben bedarf der Erinnerungen. Alles geistige Leben zumal bedarf des Wissens um seine Herkunft und muß seine Gegenwart und Zukunft bewußt an seine Vergangenheit anknüpfen. Aber in dieser Einsicht ist bereits die entscheidende Frage enthalten: bis zu welchem Grade das Leben den Dienst der Historie braucht und wo das Übermaß des geschichtlichen Sinns lebensfeindlich zu werden beginnt"2.
Was es im wissenschaftlichen Kontext und im politischen Diskurs bedeutete, die dramatische Geschichtsschreibung als unwissenschaftliche Auslieferung an die Machthaber zu bezeichnen, hinter der Vielfalt der Kulturen allgemeine Entwicklungsgesetze zu suchen und den Aufstieg der menschlichen Kultur zu einer letzten Einheit zu wünschen, kann nur geklärt werden, wenn man auf die Anfänge der modernen Kultur- und Sozialwissenschaften in Leipzig zurückgeht. Die Spannung von Ereignis und Geschichte, von "Leben" und "Struktur", stellte dort bereits seit Mitte des 19. jahrhunderts das zentrale theoretische Problem dar. Ein Diskussionskreis berühmter Gelehrter fand sich zur Bearbeitung dieser Themen Ende des 19. Jahrhunderts an der Universität Leipzig zusammen, später standen diese Fragen im Zentrum des Leipziger Instituts für Kultur-und Universalgeschichte, in den Werken all seiner Direktoren, vom Institutsbegründer Karl Lamprecht, über Walter Goetz und Hans Freyer in der Zwischenkriegszeit, bis zu Walter Markov und Manfred Kossok nach 1945; nicht zuletzt führten sie zur Ausdifferenzierung des Faches Soziologie als eigenständige Disziplin an diesem Institut. Es ging von Leipzig eine deutlich von anderen Universitäten unterscheidbare historisch- sozialwissenschaftliche Forschungsrichtung aus.

Die "Leipziger Schule" als "Diskursgemeinschaft", die enge freundschaftliche Kontakte pflegte, und deren gegenseitiger Einfluß auf die wissenschaftliche Arbeit in biographischen Berichten von den Teilnehmern selbst dokumentiert ist, präsentierte sich im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts als allwöchentliches Kaffeekränzchen berühmter Gelehrter der Leipziger Universität3. Ihre Debatten gingen um mehr als nur interdisziplinäre Zusammenarbeit - die Spezialisierungen ihrer noch gar nicht so lange bestehenden Einzeldisziplinen sollten wieder zur Synthese gelangen. Sie waren auf der Suche nach einer nicht spekulativen, alle Einzelwissenschaften vereinigenden "positiven" Wissenschaftsphilosophie, die letztendlich auf eine reine "Immanenzphilosophie" hinauslief, welche alle Objekte, der Natur ebenso wie der Kultur, als durch die Einheit der menschlichen Erfahrung konstituierte begriff. In diesem Sinne verstanden sie sich als "Positivisten", und der Psychologie wurde als Ablösung der in reine Spekulation abgedrifteten Philosophie zunächst eine vorrangige Position zugewiesen. Zu diesem "Positivistenkränzchen" gehörten: Der Philosoph und Psychologe Wilhelm Wundt, das älteste Mitglied, seit 1875 als Nachfolger Gustav Theodor Fechners in Leipzig, berühmt durch seine Gründung des ersten modernen Forschungsinstituts der Welt für experimentelle Psychologie , das an zahlreichen Universitäten in USA und Europa sofort Nachahmung fand; der Geograph Friedrich Ratzel, der durch seine Theorien der Kulturdiffusion schon einen großen Namen hatte, als er 1886 nach Leipzig berufen wurde; dann Wilhelm Ostwald, der seit 1887 in Leipzig physikalische Chemie lehrte und für seine Arbeiten zur Katalyse 1909 den Nobelpreis bekam; noch etwas später, 1891, kam Karl Lamprecht, ehemaliger Student des Leipziger Nationalökonomen Wilhelm Roscher, zu dieser Diskussionsrunde hinzu, der sich ebenfalls bereits als einer der führenden Wirtschafts- und Kulturhistoriker Deutschlands ausgewiesen hatte, als er nach Leipzig berufen wurde. Lamprecht war seinerseits der Fürsprecher bei der Berufung des Nationalökonomen Karl Bücher nach Leipzig 1892, der das jüngste Mitglied des Kränzchens wurde, und dessen Wirtschaftsstufenlehre er bereits in seinen Bonner Jahren aufnahm und präzisiert hatte4.

Daß das Zusammenkommen derartiger Berühmtheiten in Leipzig nur möglich war, weil bereits seit Mitte des Jahrhunderts bedeutende Wissenschaftspioniere in Leipzig neue Disziplinen begründeten: die Psychologie (durch Gustav Theodor Fechner), die Nationalökonomie (durch Wilhelm Roscher), und die Statistik (durch Moritz Wilhelm Drobisch); daß diese Koryphäen ihres Faches natürlich Einfluß auf nachfolgende Berufungen ausüben konnten, daß das geschilderte Debattierkränzchen wiederum durch sein wissenschaftliches Renommée Einfluß auf das sächsische Kultusministerium hatte, wird in Studien über Werk und Wirken der einzelnen Mitglieder mehrmals angesprochen, ebenso der Einfluß der gemeinsamen Debatten auf die nachfolgenden Publikationen der einzelnen Teilnehmer5. Die enge Zusammenarbeit dieses Kreises, die gegenseitige theoretische Beeinflussung und die gemeinsame Philosophie oder Weltanschauung können die Bezeichnung "Leipziger Schule" durchaus rechtfertigen.

Mit dem Begriff einer wissenschaftlichen "Schule" sind sehr unterschiedliche Annahmen verbunden. Heute versteht man darunter meist eine bis ins einzelne institutionalisierte, fachlich spezialisierte und arbeitsteilig organisierte Schule mit einem Schuloberhaupt, einer gemeinsamen Zeitschrift, festgelegtem Lehrkanon und Dogmenzensur, wie es sie hauptsächlich an amerikanischen Universitäten erst nach dem II. Weltkrieg gegeben hat. Vor dieser Zeit der extremen Spezialisierung wird auch von Schulen gesprochen, jedoch eher im Sinne lockerer sozialer Kreise bzw. einer geistigen Verbundenheit, die man als gemeinschaftliches wissenschaftliches Ethos definieren könnte; hier wäre die "Leipziger Schule" einzuordnen. Eine solche Schule hat eine Tiefenstruktur von gemeinsamen Wertorientierungen, die die wissenschaftliche Tätigkeit stets fundieren, die dem Forschen und Lehren einen gewissen "Stil" verleihen, ohne sie jedoch im einzelnen festzulegen. In diesem Sinn ist die "Leipziger Schule" eher als "geistige Bewegung" zu verstehen, die gekennzeichnet ist durch die Gegnerschaft den Traditionen einer etablierten wissenschaftlichen Disziplin gegenüber. Sie erstrebt nicht die "Reform" des Bestehenden, sondern eine "Revolution" im Sinn des "Umsturzes der Werte"6 und eine "Weltsicht" - der ethische Appell und ein bestimmtes "Menschenbild" stehen hier im Vordergrund. Eine ins Detail gehende logisch-analytische Diskussion ist noch gar nicht möglich, weil dem alten Wissenschaftsgebäude noch kein neues entgegengesetzt werden kann - und auch gar nicht soll, denn man will ja aus der Verhärtung des Systems herauskommen. Gerade deshalb wird eine große Ausdehnung der Erneuerungsbestrebungen möglich, auf die verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen und auch auf außeruniversitäre Weltanschauungsgemeinschaften, auf religiöse, künstlerische und soziale Erneuerungsbewegungen. Wilhelm Ostwald z. B. war Pionier der physikalischen Chemie, gleichzeitig aber auch ein naturphilosophischer Prophet, der als Vorsitzender des Monistenbundes die Einheit alles menschlichen Wissens als neue Weltanschauung in seinen monistischen "Sonntagspredigten" verkündete. Das soziale Engagement in Form von populärwissenschaftlichen Vorträgen für Volksbildungsvereine, politische und weltanschauliche Gruppierungen war eine Ehrenaufgabe für Karl Lamprecht, wie auch für Karl Bücher. Eine "Wissenschaft als Bewegung" in diesem Sinne ist keineswegs als zweitrangig einzustufen, sie bleibt neben der sogenannten "Expertenwissenschaft" eine konstituierende Komponente jeder Wissenschaft; denn hohe Spezialisierung bedeutet immer auch Erstarrung und Senilität, die wieder aufgebrochen werden muß. Gerade der geringe Grad der streng disziplinären Festlegung gewährleistete die Fruchtbarkeit der "Leipziger Schule": die Leichtigkeit der Verknüpfung von Kulturphilosophie, Geschichtswissenschaft und Soziologie, von Politologie und Staatslehre, von Psychologie, Pädagogik und Theologie, die Wandlungsfähigkeit der einzelnen Fächer, die ganz pragmatische Offenheit für neue Fragestellungen. Deshalb kann man die Leipziger Entwicklungslinien auch nicht streng nach Fächern trennen, sie liegen quer zu den hergebrachten Disziplinen.

Zusammenfassend kann das Plädoyer des Leipziger "Kränzchens" für die Synthese der Wissenschaften durch folgende Grundannahmen charakterisiert werden: Die Entwicklung der Kulturformen, Institutionen, Gesellschaften, wie auch der Persönlichkeit, kann letztendlich als "emergentes", d.h. ein sich mit fortlaufender Erfahrung ausdifferenzierendes "Gesetz" aufgefaßt werden, das sowohl den konstanten Faktor der Persönlichkeit darstellt, wie auch in der geschichtlichen Welt das strukturierende Kontinuum bildet. Diese Gesetzmäßigkeit ist keinesfalls reduktionistisch als statische oder natürliche Grundkonstante zu verstehen, sie ist vielmehr als ein sich mit zunehmender Erfahrung ausdifferenzierender "Code" oder eine "Grammatik" aufzufassen. Lamprechts Begriff des "seelischen Diapason" als sozialtypische Ausprägung oder "conscience collective" des Individuums, oder auch Wundts prozessuale Konzeption des "Gesamtwillens" und "Gesamtgeistes", sollen diese Gesetzmäßigkeit des allgemein-menschlichen Bewußtseins kennzeichnen7, welche alle objektiven Erscheinungen, wie auch das systematische Wissen über sie, durchzieht. Es geht im Grunde um die Konzeption eines dynamischen Strukturbegriffes, der heute noch in ähnlicher Weise diskutiert wird: als Generalisierung, die sich weder als Abstraktion vollkommen vom Material ablöst, noch als a priori strukturiertes Material vollkommen mit dem Gegenstand verschmilzt; d.h. Struktur als relativ konstantes Muster in Veränderung8, oder - wie Hans Freyer 1923 formulierte - eine "Strukturformel als universale in re, nicht post rem", als "Kanon" der konkreten Wirklichkeit, zu deren Begriffsbildung die Philosophie, die bisher lediglich eine Logik der Abstraktion kannte, erst eine neue Logik bereitstellen müsse9.

Auf der Grundlage dieser auf Erfahrung beruhenden Gesetzmäßigkeit können die Bereiche der Natur und der Kultur bzw. des Geistes nicht prinzipiell getrennt werden - die Unterscheidung zwischen Idealismus und Materialismus bzw. Naturalismus, zwischen nomothetischer, d.h. allgemein-gesetzmäßiger Erklärung und idiographischer, d.h. verstehender, hermeneutischer Betrachtung, wird damit nach Auffassung der Leipziger eigentlich zum Scheinproblem. So sind die Entwicklungsgesetze der Natur, des Individuums und der Geschichte für diesen Leipziger Gelehrtenkreis zugleich historisch-hermeneutisch beschreibbar, induktiv erforschbar und kausal erklärbar; spätere Zustände sind aus den früheren gesetzmäßig zu begründen, womit ganz allgemein eine systematisierende und generalisierende theoretische Erfassung im nachhinein gemeint war, die nicht mit einem formallogischen Gesetzesbegriff verwechselt werden darf. Hierauf stützen sich sowohl die Stufenlehren der historischen Entwicklung bei Lamprecht und Bücher, die Strukturierung aller Kulturen durch die Kategorien Sprache, Mythus und Sitte in Wundts Völkerpsychologie, wie auch der Methodenpluralismus des Kränzchens, der das Laborexperiment ebenso einschließt wie die Statistik und die Kulturgeschichte10.

Eine systematische Zusammenschau der theoretischen Bemühungen des Leipziger Kränzchens steht noch aus, jedoch ist aus der zeitgenössischen Rezeption zu entnehmen, daß die Leipziger Arbeiten damals dem Positivismus zugeordnet wurden, sei es zustimmend oder mit heftiger Kritik. Émile Durkheim hat den Grund der Außenseiterstellung Wundts in Deutschland ausdrücklich in dessen positiver Philosophie und wissenschaftlich begründbarer Morallehre gesehen, die sich vom vorherrschenden Neukantianismus absetzen und von der deutschen Philosophie im allgemeinen heftige Ablehnung erfahren würde11. Karl Lamprechts Parallelen zu Auguste Comte wurden bereits von seinem Freund und Kollegen Ernst Bernheim betont, um den Vorwurf des Materialismus gegen ihn zu widerlegen12. Sowohl Wilhelm Wundt, als auch Karl Lamprecht und Wilhelm Ostwald, werden später in einer amerikanischen Studie über den europäischen Positivismus als deutsche Positivisten aufgeführt13. Der Begriff erweist sich offensichtlich als der vorläufig adäquateste, um die theoretische Ausrichtung der Leipziger von den anderen zeitgenössischen philosophischen und sozialwissenschaftlichen Strömungen in Deutschland abzugrenzen, auch wenn bisher nicht nachgewiesen ist, ob die Mitglieder des Kränzchens sich selbst öffentlich als Positivisten bezeichneten14.

Aus heutiger Sicht ist das gemeinsame Charakteristikum der Leipziger Schule, die nächste Generation in der Zwischenkriegszeit eingeschlossen, die Konkretisierung - des Idealismus, Materialismus oder auch Naturalismus - in der Kulturentwicklung, und zwar angefangen von den biophysischen und antriebsmäßigen Grundlagen bis zu den höchsten geistigen Objektivationen in Religion, Kunst, Wissenschaft und Philosophie; sie stand damit dem enzyklopädischen Wissenschaftsverständnis eines Diderot näher als den zeitgenössischen neuen Geisteswissenschaften. Dabei wird ein mehrschichtiges Systemmodell verwendet, das durchaus dynamisch aufgefaßt wird, auch wenn oft noch eine etwas zu schematische "Entwicklungslogik" durchschlägt, die dem konkreten und teilweise kontingenten historischen Wandel bestimmte "Gesetze" aufzuzwingen scheint. Kulturgeschichte und Kulturphilosophie sind allerdings nicht nur von der Leipziger Schule, sondern beispielsweise auch von Nicolai Hartmann, Georg Simmel oder auch Alfred Weber als ein Weg zur Erneuerung und Konkretisierung der Philosophie und Humanwissenschaft verstanden worden15. Aber keiner dieser Ansätze hat sich stärker von einer weitgehend noch ontologisierenden und statischen Kultur- bzw. Geistlehre und Wertephilosophie abgelöst als die Leipziger, die mit den neu gegründeten Wissenschaftsdisziplinen der Kultur- und Universalgeschichte, der Entwicklungs- und Völkerpsychologie, der Anthropogeographie und politischen Geographie, der Kultursoziologie wie auch der Staatslehre, den Gang in die Geschichte wagten, ohne sich durch den "Seinsverlust" oder die ewige Tragik der Kultur - deren der Mensch zu seiner Entwicklung bedarf, in deren Gehäuse er jedoch erstarrt - allzu sehr beeindrucken zu lassen.

Leipzig war bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts durch den Mathematiker Moritz Wilhelm Drobisch, einer der Begründer der modernen Statistik, und dessen Zusammenarbeit mit dem Psychologen Gustav Theodor Fechner ein Zentrum der sogenannten "probabilistischen Revolution": ausgelöst durch die Wahrscheinlichkeitstheorie wurde das mechanische Kausalitätsdenken ersetzt durch Gesetze des Zufalls und der Verteilung. Fechner erarbeitete unter diesem Einfluß eine Theorie der Kollektivbegriffe und kollektiven Gesetzmäßigkeiten aus, die keine Übertragung auf physische Befindlichkeiten und individuelle Motivationen erlaubte. Strukturgenetische Begriffe, wie "psychophysischer Parallelismus" oder "Heterogonie der Zwecke", hat Wilhelm Wundt aus Fechnerschen Ansätzen weiter entwickelt, um Eigenschaften eines komplexen Systems zu kennzeichnen, die nicht für einzelne Bestandteile des Systems gelten, und um einer emergenten und kontingenten sozialen Entwicklungsdynamik eher gerecht zu werden. Vor allem sollte damit eine kulturelle Höherentwicklung durch ständige Verarbeitung von unvorhergesehenen und komplexen Situationen erfaßt werden16. Folgerichtig blieb im Leipziger Positivismus das "Positive" als das nicht organisch Gewachsene, als das im Handeln Gesetzte, kulturell Vergegenständlichte im Gegensatz zum Natürlichen, erhalten - eine Bedeutung, die später, durch die Benutzung dieses Etiketts im Wiener logischen Empirismus und besonders durch die Ablehnung des Positivismus als "philosophische Technokratie" der "Kritischen Theorie", verdeckt und entstellt wurde17. Der Übergang von der mechanischen oder natürlichen Kausalität zu Emergenz und Epigenese, die Leben als "wachsende Komplexität eines anfänglich homogenen Kleinmaterials" definieren, ging bereits bei Fechner eine besondere Wechselwirkung mit der Geschichtsphilosophie ein und blieb seitdem in Leipzig mit dem Begriff der Setzung als aktive Verwirklichung oder kulturelle Objektivierung eng verknüpft. So ist das Erbe der Aufklärung, aufgrund des Wissens die menschliche Welt gestalten zu können, durch die Einbeziehung einer dritten intentionalen Komponente neben Struktur und Genese, neu formuliert worden, sei es im Begriff des "Gemeinschaftswillens" bei Lamprecht, oder im Begriff der "Apperzeption"18 bei Wundt; gleichzeitig wurde damit eine Lösung des Kontingenzproblems angeboten, mit der ein den Kantianern angelasteter theoretischer Konstruktivismus, aber auch ein psychologistischer Rückfall in subjektive Willkür vermieden und eine komplexere Steuerung des Handelns sowie eine kontingente Entwicklungsdynamik theoretisch verankert werden sollte19. Die Tripolarität von Struktur, Genese bzw. Entwicklung, sowie Intentionalität oder Aktualisierung, bildete also bereits seit Fechner und Drobisch den gemeinsamen theoretischen Rahmen, der später in der Zwischenkriegszeit von Hans Freyer, Hans Driesch, Arnold Gehlen und anderen Leipziger Kollegen und Schülern, weiterentwickelt wurde.

Der Leipziger Positivismus hatte zunächst mehrere Berührungspunkte und Überschneidungen mit den zeitgenössischen Gegenpositionen des Neukantianismus und des Historismus, in denen die individuelle Wertentscheidung im Vordergrund stand; z. B. ist bei Lamprecht im Begriff der Entwicklung als Höherentwicklung der Kulturzeitalter zur gegenwärtigen "subjektivistischen Epoche" immer eine zunehmende kulturelle Differenzierung mit eingeschlossen, die in der Bedeutung fast identisch wurde mit dem Begriff der Individualisierung20. Die durch die zunehmende Individualisierung ausgelöste Ausbildung und Steigerung bisher unbekannter wirtschaftlicher Bedürfnisse übernahm Lamprecht aus historistischen Arbeiten der Nationalökonomie, von Gustav Schmoller und Werner Sombart21; umgekehrt konnte auch der Historismus, solange er noch unter dem Einfluß der Geschichtsphilosophie der Aufklärung stand, einen von organizistischen Vorstellungen abgeleiteten evolutionären Entwicklungsgedanken ohne weiteres mit einschließen22.

Ab dem Jahr 1878 ist jedoch ein jäher Abbruch jeglicher theoretischer Annäherungen zwischen Positivismus, Historismus und Neukantianismus zu registrieren, und das hat offensichtlich politische Gründe: Die zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm I. lösten nicht nur das Verbot des Sozialismus aus, sondern führten auch zu einem Epocheneinschnitt in der philosophischen Entwicklung23; ab diesem Zeitpunkt haben die verschiedensten Kreise der Neukantianer jegliche positivistische Inklination in Form einer empirisch-wissenschaftlichen Erklärung der kulturellen Formen oder Werte vermieden und sich streng an eine normative Wertphilosophie gehalten24. Werte entstehen nicht als Produkte im Verlauf der historischen Entwicklung; sie gelten immer, als oberstes Gesetz, und können nur erkannt, jedoch niemals "gesetzt" werden. Diese Erkenntnis hat die Philosophie zu leisten und muß deshalb reine Wertlehre bleiben. Mit diesem Postulat gingen die Neukantianer gegen jede handlungsorientierte "Setzung", gegen psychologische, historisch-genetische oder kulturwissenschaftliche Ableitung der Werte an.

Diese geistige Einigung, die ebenso eine politische Front gegen die Gefahren der industriellen Massengesellschaft, der neuen sozialen Bewegungen, insbesondere der Sozialdemokratie bedeutete, machten nun die Leipziger Positivisten nicht mit - im Gegenteil können die Begründung des Kränzchens um 1890 und die intensive Zusammenarbeit als Reaktion gegen diese Front angesehen werden. Die Mitglieder präsentierten sich damit als Erben der französischen Aufklärung, und es konnte nach 1871 ohne weiteres auch eine staatsfeindliche bzw. antipreußische politische Einstellung mit diesen kulturwissenschaftlichen Ambitionen verbunden werden. Für die neukantianischen "Wertphilosophen" ging die allgemeingültige Vernunft doch mehr oder weniger ineins mit der Autorität des Staates, und sie waren insgesamt "kleindeutsch-national" - gegen Sozialismus, Internationalismus und die "westliche Zivilisation", auch gegen die Trennung der gesellschaftlichen Sphäre von der staatlichen - eingestellt. Das Leipziger Kränzchen dagegen war gekennzeichnet durch einen übernationalen, kulturellen Universalismus; die Trennung von Staat und Gesellschaft, als Erbe der französischen Revolution, diente als Hauptargument, die politische Heroengeschichte als Relikt der vorrevolutionären Gesellschaftsordnung anzusehen und Universalgeschichte, Völkerpsychologie, Kulturgeographie usw. als "Gesellschafts"-Geschichte zu betreiben. Dieser Übergang bedeutete ihnen weit mehr als eine Reform der Geschichtsschreibung - mit ihm wurde auch die Emanzipation des modernen wissenschaftlichen Denkens von der Helden- und Staatsverehrung proklamiert25, was in der Öffentlichkeit gleichzeitig als Herabsetzung des preußischen Staates verstanden werden konnte.

Alle Mitglieder des Kränzchens waren Hauptfiguren in zeitgenössischen wissenschaftlichen Kontroversen ihrer Disziplinen, die mit einer verwirrenden Oszillation zwischen wissenschaftlicher Kritik, ideologischer Polarisierung und politischer Polemik unter großer öffentlicher Resonanz ausgetragen wurden. Wilhelm Wundts gigantisches philosophisches und kulturanthropologisches Werk erfuhr eine eigentümliche Nichtbeachtung in der deutschen akademischen Lehre26. Karl Büchers Theorie der Wirtschaftsstufen war dem Vorwurf ausgesetzt, den einmaligen Gang der wirtschaftlichen Entwicklung durch abstrakte allgemeine Gesetze zu entstellen, und er wurde damit, wie Lamprecht, einer "sozialistischen" Gesinnung verdächtigt, was seine Berufung nach Leipzig erschwerte27. Büchers Wirtschaftslehre war Angriffsziel im Methodenstreit der Nationalökonomie, ebenso war Friedrich Ratzels Abwendung von organizistischen Entwicklungsmodellen Gegenstand einer Fachkontroverse; seine Darstellung der Entstehung von Kulturgesellschaften durch Gesetzmäßigkeiten der kulturellen Diffusion, Überlagerungen, wechselseitigen Beeinflussung und Migration stand im Gegensatz zu organischen Wachstumstheorien Berliner Ethnologen28, die einzelnen Völkern gewisse konstante physische und kulturelle Merkmale zuschrieben, welche eine Adaptation an andere geographische, klimatische und kulturelle Bedingungen doch in Grenzen hielten.

So können politische Schlüsselereignisse wie die Sozialistengesetze oder der Kirchen- und Kulturkampf durchaus der wissenschaftlichen Entwicklung einen völlig neuen Akzent geben. Allerdings: unterbrochen wurde diese einmal eingeschlagene Entwicklung nie. Als Lamprecht sein weltberühmtes Institut für Kultur- und Universalgeschichte gründete, im Jahr 1909, war die industrielle Revolution praktisch vollendet, das allgemeine Interesse an der Wirtschafts- und Kulturgeschichte, an Soziologie und Nationalökonomie war enorm, man erwartete von diesen neuen Disziplinen die wissenschaftlichen "Gesetze der Geschichte". Am Höhepunkt des industriellen Zeitalters standen nun doch übernationale Begriffe, wie Institutionen, soziale Schichtung und Klassen, der soziale Wandel in der Moderne, im Zentrum des Interesses.29 Karl Lamprechts Organisationstalent und seine guten Beziehungen zum Leipziger Wirtschaftsbürgertum, auch zu berühmten amerikanischen und französischen Fachgenossen, ließen in Leipzig ein weltberühmtes Forschungszentrum der Sozial- und Kulturgeschichte entstehen30; er erhielt Ehrendoktortitel in England, Amerika und Norwegen und war Mitglied französischer Akademien. Wundt, Ostwald, Ratzel, Bücher, sie alle waren Pioniere einer modernen sozialwissenschaftlichen Sichtweise in ihren Disziplinen und genossen internationales Ansehen. Die innerdeutsche Kritik hat ihre hervorragende Forschungstätigkeit letztlich nicht verhindern können, die zahlreiche, vor allem auch ausländische Studenten und Doktoranden nach Leipzig führte31.
Daß in Deutschland jedoch zunächst ihre Gegner stärker waren, ist schon durch die genannten wissenschaftlichen Kontroversen zu belegen, vor allem durch den Methodenstreit um Karl Lamprecht und den Werturteilsstreit der Sozialwissenschaften, in dem auch Wilhelm Wundt angegriffen wurde, und die sich an zwei Universitäten konzentrierten: in Berlin waren es insbesondere die Historiker Heinrich v. Sybel, Hans Delbrück, Friedrich Meinecke und Hermann Oncken, die sich im Methodenstreit der Geschichtswissenschaften gegen jegliche Erfassung der Kulturentwicklung als gesetzmäßige Erscheinung wandten, seien es universalgeschichtliche Stufenfolgen oder auch die Schematisierungen der Wundtschen Völkerpsychologie. In Heidelberg waren es die Neukantianer um Heinrich Rickert und Max Weber, die im sogenannten Werturteilsstreit gegen die Leipziger Position bezogen und, unter Verweis auf die individuelle Wertentscheidung, die hinter jedem Wirtschaftshandeln, der Migration, oder auch der Übernahme kultureller Formen steht, jegliche nomothetische Erklärung dafür ablehnten und damit auch eine Trennung der Wissenschaften in nomothetisch vorgehende Naturwissenschaften und idiographische Geisteswissenschaften verteidigten.32 Die Leipziger Geschichts- und Sozialwissenschaften standen also unter einem ungünstigen Stern. Die Weichenstellung folgte in Deutschland mehr der Berliner politischen Geschichtsschreibung, bzw. den wissenschaftstheoretischen Positionen des einflußreichen Max Weber, so daß makrotheoretische Ansätze weitgehend ausgeblendet worden sind. Während Lamprechts internationale Rezeption deutlich zu verfolgen ist, sowohl in der amerikanischen "New History", wie auch in der französischen "histoire synthétique", Wundts Einfluß von der französischen Durkheim-Schule bis zum amerikanischen Behaviorismus in seinen verschiedensten Richtungen reichte, wurde in Deutschland die makrohistorische, strukturelle und kollektivpsychologische Erfassung weitgehend unterbewertet und in der späteren Rezeption entweder übergangen oder in Richtung einer individualistischen und handlungstheoretischen Interpretation gelenkt, die im Zuge der zunehmenden wissenschaftlichen Spezialisierung zwar die Übernahme von Teilergebnissen und bestimmten Methoden gestattete, dabei aber die positivistische philosophische Grundorientierung vollkommen ausblendete. Das war die Ausgangsposition für die Weiterentwicklung des Instituts für Kultur- und Universalgeschichte in den zwanziger Jahren, in dessen Rahmen im Jahr 1925 die Soziologie als selbständiges Fach begründet wurde.



II. Die Schwelle 1918 - die existentialistische Wende.
Soziale Ordnungskategorien und lebenspraktisches Pathos.

Die nächste Generation in Leipzig war geprägt vom Eindruck der totalen Zerstörung aller historisch gewachsenen Strukturen und kulturellen Traditionen durch die Katastrophe des Ersten Weltkriegs. Entwicklungsgesetze der Kulturformen - worauf sollten sie noch begründet werden? Impulse und Richtungsbestimmungen für eine Gesellschaftsreform erwartete man von der Soziologie, die in Deutschland erst nach 1918 als eigenständige akademische Disziplin begründet wurde. Hans Freyer, Schüler von Karl Lamprecht, Wilhelm Wundt, Karl Bücher und Johannes Volkelt, erhielt 1925 in Leipzig den ersten deutschen Lehrstuhl nur für Soziologie, ohne die bis dahin übliche Beiordnung eines anderen Faches, und man darf mit Recht annehmen, daß die vorher bekämpfte Leipziger sozialwissenschaftliche und kulturhistorische Ausrichtung jetzt für die Errichtung dieses ersten soziologischen Lehrstuhls sogar ausschlaggebend war33.

Die für Leipzig typische Verknüpfung der Einzeldisziplinen blieb erhalten; Freyers Institut, zunächst räumlich innerhalb des Instituts für Kultur- und Universalgeschichte untergebracht, war sehr klein: eine Professur (Freyer), eine Privatdozentenstelle (Gunther Ipsen), ein Assistent (Willy Bloßfeldt). Der Nachfolger Lamprechts, Walter Goetz, legte großen Wert auf Zusammenarbeit dieser beiden Institute34, und die meisten soziologischen Lehrveranstaltungen wurden gleichzeitig für das Studium der Kultur- und Universalgeschichte angekündigt. Intensiven wissenschaftlichen Austausch gab es nach wie vor mit der Psychologie (Felix Krueger), den Religionswissenschaften (Joachim Wach), der Philosophie (Hans Driesch und Arnold Gehlen), der Pädagogik (Theodor Litt), und dem Seminar für Freies Volksbildungswesen (Hermann Heller)35. Auf längere Sicht war die Errichtung eines selbständigen soziologischen Forschungsinstitutes nach dem Muster des Lamprecht-Institutes geplant, das sich der empirischen Bestandsaufnahme und Entwicklungsanalyse kollektiver Strukturen und Prozesse widmen sollte, wie Bevölkerungsstruktur, soziale Schichtung und Berufsaufbau, Industriedorf und Bauerndorf, Kleinstadt und großstädtische Agglomerationen, Migration etc., die dann zu einer allgemeinen soziologischen Theorie moderner Siedlungsformen ausgebaut werden sollte36.

Walter Goetz, 1867 in einem Vorort von Leipzig geboren und 1895 an der Universität Leipzig unter Mitwirkung von Lamprecht habilitiert, danach dort Privatdozent bis 190137, gehörte noch zur Generation Lamprechts. Er wurde nach dessen frühem Tod 1915 zum Direktor des "Ku-Hi" (die studentische Abkürzung für das Institut) berufen und führte das universalhistorische Programm fort, auch wenn er sich vorher im Methodenstreit gegen Lamprechts vorschnelle Synthesen und universale Entwicklungsstufen gewandt hatte. Der Fortbestand des Lamprechtschen Instituts war bei dieser Übernahme äußerst gefährdet, und Goetz bekam den Posten wohl eher, weil er als Lamprecht-Gegner bekannt war und die Kulturgeschichte als Gesamtgeschichte der Entwicklung des geistigen Lebens zwar befürwortete, aber jegliche geschichtsphilosophische Inklination vermeiden wollte38. Die ursprüngliche positivistische Geschichtsphilosophie wurde vorwiegend am soziologischen Institut Hans Freyers weitergeführt. Goetz schränkte den immensen weltgeschichtlichen Arbeitsbereich rigoros ein auf die europäische Kulturgeschichte, konzentrierte sich auf die Systematisierung des Geschichtsstudiums durch Kurse verschiedener Schwierigkeitsgrade und organisierte ein System von Stipendien, das nach Abschluß des Studiums eine interdisziplinäre Bearbeitung von größeren Forschungsthemen des Instituts ermöglichte39. Eines dieser Forschungsgebiete betraf die Beziehungen zwischen idealistischer Philosophie und wirtschaftlicher Wirklichkeit im 19. Jahrhundert, in dessen Rahmen auch die Habilitationsschrift Hans Freyers, "Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts", gefördert wurde40.

An Freyers Einordnung der Soziologie in das allgemeine System der Wissenschaften ist der Bezug zum Leipziger Positivismus sofort zu erkennen: Die Soziologie, historisch aus der Geschichtsphilosophie hervorgegangen, müsse auch jetzt mit dem Anspruch auftreten, Universalwissenschaft von der Kultur und ihrer Entwicklung zu sein. Jede systematische Begriffsbildung der Soziologie führe deshalb "notwendig auf den Gedanken typischer Grundstrukturen der gesellschaftlichen Wirklichkeit und auf das Problem ihres genetischen Zusammenhangs"41. Freyers Dissertation 1911, "Die Geschichte der Geschichte der Philosophie im 18. Jahrhundert", entstand im Rahmen mehrerer Forschungen zur Aufklärung am Lamprechtschen Institut und behandelte das zentrale theoretische Problem - nicht nur der Aufklärung, sondern gleichermaßen der Lamprechtschen universalhistorischen Theoriekonstruktion - wie ein rein rationalistisches System, das ein Endgültiges erreicht zu haben glaubt, doch wieder die Fülle des Historischen mit einbeziehen muß. Freyer legte dar, daß dieses Problem sich nur durch die Selbstzerstörung der rationalistischen Denksysteme lösen konnte: Nur dadurch, daß die aufklärerische Philosophie sich im Stadium der Wissenschaft angelangt sieht, kann sie dem eigenen System gegenüber eine historische Haltung einnehmen und bezieht es dadurch in die allgemeine Entwicklungsgeschichte der Philosophie mit ein; so erscheint das eigene Denken zugleich auch als logische Vollendung der philosophischen Vergangenheit, das historische Verständnis schlägt in direkten Erkenntniswert um. Es kann ebenso als logische und theoretische Grundlegung der Lamprechtschen Stufentheorien (die Lamprecht selbst nie gründlich gleistet hat) gelesen werden, wenn Freyer schreibt: "Denn die historischen Wirklichkeiten der Geschichte der Philosophie sind für die Philosophie selbst logische Möglichkeiten. Zunächst gewußte Tatsachenreihen, fungieren die verstandenen Systeme zugleich als logische Gedankenreihen und werden systematisch wirksam"42.

Auf diese strukturgenetische These baute Freyer sein eigenes dialektisches System auf, mit dem er die (vor allem seinem Lehrer Lamprecht angelastete) unrechtmäßige Festschreibung von universalen Entwicklungsstufen der Menschheit durch die Kontingenz der historischen Entwicklung ersetzt zu haben glaubte. "Geschichte" und "System" sollen jetzt "realdialektisch" miteinander verknüpft werden - Grundstrukturen sind, außer daß sie dialektisch aufeinander folgen, in jeder geschichtlichen Gegenwart als Strukturelemente vorhanden43. Mit dieser Dialektik von Einschichtung und Stufenfolge hat Freyer, wie Lamprecht und Wundt bereits versucht hatten, keineswegs ein kumulatives System konzipiert, in dem soziale Konstellationen, nachdem sie einmal historisch entstanden sind, als grundlegende Erfahrung nie wieder verloren gehen; vielmehr versteht Freyer sein System "strukturalistisch" in dem Sinn, daß jede aktuelle Entwicklungsphase latente Strukturen aus der Vergangenheit in sich enthält, daß aber bei weitem nicht alles aktuell werden kann, was in der Latenz angelegt ist44.
Mit diesem strukturgenetischen Ansatz sollten die streitenden zeitgenössischen Positionen verbunden werden: Gegenüber dem "methodologischen", gelegentlich aber auch sozialontologischen Individualismus von Max Weber und den Neukantianern wollte Freyer die Entwicklungsgesetzlichkeiten der Kultur makrosoziologisch definieren; dem Chaos der subjektivistischen Wertentscheidungen Max Webers setzte er den Schwerpunkt entgegen, die kulturellen "Objektivationen" herauszustellen und die Wertfrage im Kontext weitgehend unbewußter kollektiver Haltungen abzuhandeln. Die Bedeutung des Individuums wird damit nicht abgewertet - im Gegenteil hob Freyer ja immer wieder die Begriffe "Entscheidung", "Tat" und "Führerschaft" hervor - aber die individuelle Wertentscheidung sollte immer in größere strukturelle Zusammenhänge eingebettet werden. Freyer wehrte sich, wie seine Lehrer, gegen einen organizistischen oder zyklischen Entwicklungsbegriff, jedoch kann Entwicklung auch nicht, wie er den Stufentheorien seiner Lehrer teilweise unterstellte, "utopistisch" als Fortschritt verstanden werden; nur eine dialektische Dynamik kann nach Freyer einer sozialen Entwicklung, die sich immer auch selbst historisch wird, d.h. sich selbst reflektiert, gerecht werden. Für die Konzeption und Rezeption der Freyerschen Soziologie und Kulturtheorie ist aber nach wie vor von Bedeutung, daß auch er, trotz seiner Bemühungen um eine Integration, dem schier unversöhnlichen Gegensatz zwischen der kollektiv-psychologischen Traditionslinie der Leipziger Schule und den individualistisch-handlungstheoretischen Konzeptionen Max Webers niemals entkommen konnte.

Nach 1925 fühlte sich Freyer verpflichtet, der neuen Wissenschaft der Soziologie eine eigene philosophische, d.h. logische Grundlegung zu geben. Er stellte sie dabei in der Tradition Comtes an den Kumulationspunkt von Philosophie und Wissenschaft und spitzte sie zu einer Theorie des gesellschaftlichen Umbruchs zu, die den revolutionären Wandel bis in den zugrundeliegenden kulturellen Code hinein erfassen soll, und die eine ungleich stärkere Betonung der Aktualisierung durch "Setzung" enthält, während die anderen zwei Komponenten der Leipziger Formel - Struktur und Genese - eher in den Hintergrund gedrängt werden. Damit wollte Freyer nicht nur das universale Entwicklungsstufenmodell seiner Lehrer korrigieren und im Geiste des Positivismus die Einheit der Wissenschaft nun tatsächlich herstellen, sondern darüber hinaus in Wundtscher Tradition eine wissenschaftlich fundierte Ethik für eine Gesellschaft an der Schwelle zu einer neuen Epoche bereitstellen. Ausgehend von seiner früheren Interpretation der Aufklärung postulierte Freyer in seiner Leipziger Antrittsvorlesung45, daß mit dem Anbruch des wissenschaftlichen Zeitalters (nach Auguste Comte) das letzte Stadium der bislang evolutionären Entwicklung der Vernunft erreicht sei. Die "positive Wissenschaft", die die naturgesetzliche Ordnung erkennt, stellt für ihn das letzte Produkt dieser naturgesetzlichen Entwicklung selbst dar und begründet damit eine vollkommen neue vernunftgemäße Gestaltung des Lebens. Soziologie ist diese letzte und höchste "Naturwissenschaft", womit "die Natur, sich selbst transzendierend, in die Autonomie des Geistes", in die bewußte Lebensgestaltung, Planung und Sozialtechnik übergeht. Einen ähnlichen Höhepunkt hat nach Freyer die Entwicklung der Geisteswissenschaften erreicht, nur tritt hier an die Stelle der naturgesetzlichen Einheit eine Einheit des Sinns, der "Geist" als Welt von ebenso autonomer Gesetzlichkeit, die den sogenannten Logoswissenschaften, wie Philologie, Kunstwissenschaften, Rechtswissenschaft etc., zugrundeliegt. Da die Soziologie in Familienformen, Herrschaftstypen etc. Zusammenhänge mit Sprachentwicklung, Kunststilen, oder auch Rechtssystemen nachweist, definiert sie damit die soziologische Struktur einer Kultur als Träger desselben Sinngehaltes oder derselben "Grammatik", die als "Geist" einer Kultur auch in Wissenschaft, Kunst oder Recht ausgeformt ist. Damit ist die Soziologie zugleich die "höchste" Form der Geisteswissenschaften, mit der nun wiederum eine eigengesetzliche Entwicklung ihr Ende findet durch einen "Umschlag" zu einem neuen Zeitalter der menschlichen Bewußtwerdung. Soziologie ist demnach eine historische und realdialektische Erscheinung zugleich, Vollstreckerin einer logischen Eigenbewegung und gleichzeitig Manifestation praktisch-rationaler Selbstgestaltung und Selbsterkenntnis einer konkreten, historisch verortbaren Gesellschaft - Soziologie als höchste wissenschaftliche Entwicklungsform
ist "Selbstbewußtsein eines Übergangs und Untergangs, eines Weiterschreitens in die Zukunft (...) Während die Hegelsche Philosophie die Soziologie eines Endes ist, ist die Soziologie die Philosophie eines Übergangs"46. Die Leipziger Kultur- und Universalgeschichte als "Entwicklungswissenschaft" ist damit übergegangen in Freyers "Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft".

Von dieser geschichtsphilosophischen Positionsbestimmung der Soziologie ausgehend wies Freyer für die soziologische, d.h. wirklichkeitswissenschaftliche Analyse jegliche unhistorische Verallgemeinerung von Begriffen, seien es die Kulturformen Diltheys, oder auch allgemeine Kategorien der sozialen Beziehungen (Leopold von Wiese) als starre Formenlehren zurück, da sie den historischen Charakter, die unumkehrbare Folge von Gesellschaftslagen, nicht berücksichtigen könnten; ebenso lehnte er eine organizistische Gliedhaftigkeit (Othmar Spann), oder auch den Emanatismus eines Oswald Spengler als logische Metaphysik ab, weil sie die konkrete geschichtliche Veränderung der Wirklichkeit verfehlen würden, da sie von einem geschlossenen Sinnzusammenhang oder von einer Evolution aus Ursymbolen ausgehen, in denen von Anfang alles schon entschieden sei. Er sah nun die Zeit gekommen für die Überwindung dieses Idealismus durch einen neuen "Realismus" und war auf der Suche einer neuen, wirklichkeitswissenschaftlichen "Logik des konkreten Begriffs", die eine wissenschaftliche Generalisierung leisten und trotzdem den historischen Charakter des Objekts bewahren könne.47.

Nach der Überzeugung Freyers hat Max Weber wichtige Schritte in dieser Richtung mit der Konzeption des Idealtypus geleistet, obgleich Freyer - wohl nicht zu Unrecht - unterstellte, "daß Max Weber mit diesen Mitteln der Rickertsche Wissenschaftslehre den vollen Sinn seiner eigenen Arbeit nicht erfaßt" habe48. Nach Freyer finden sich, genau besehen, bei Max Weber nämlich zwei Arten von Idealtypen: solche, deren historische Signatur noch deutlich zu erkennen ist (wie z.B. die "okzidentale Stadt", oder auch die drei Formen legitimer Herrschaft) und andere, die sich ganz an der "Zweckrationalität" als dem "objektiven Richtigkeitstypus" orientieren und damit die historische Bindung leugnen. Einerseits sei, so Freyer, an den Idealtypen, die sich ganz an der Zweckrationalität orientieren, eine deutliche historische Bindung an die Zeit des Liberalismus nachzuweisen, andererseits könnten die historisch gesättigten Idealtypen Webers niemals als generalisierende Typen im Sinne von Rickerts naturwissenschaftlichem Wissenschaftsideal gelten. Die Windelband-Rickertsche Trennung von idiographischen und nomothetischen, von individualisierenden und generalisierenden wissenschaftlichen Disziplinen, wurde von Freyer, genauso wie von seinen Lehrern, nicht anerkannt, und auch er kam aus diesem Dilemma nicht heraus; die programmatischen Appelle Freyers konnten damals nicht in eine präzise und operationalisierbare Begriffsbildung umgesetzt werden49. Max Webers historisch-soziologische Analysen, insbesondere seine Herrschafts- und Staatssoziologie und die Religionssoziologie, gehörten jedoch von Anfang an, neben den Werken Lorenz von Steins und ab 1930 den erstmals veröffentlichten Frühschriften von Karl Marx, zu den Schwerpunkten der soziologischen Ausbildung in Leipzig, die aus den Sackgassen des Leipziger evolutionären Positivismus eines Lamprecht oder Wundt herausführen sollten50.

Freyer ist mit seinem "wirklichkeitswissenschaftlichen" System, das der offenen Dynamik der gesellschaftlichen Bewegung gerecht werden sollte, an einem kritischen Punkt angelangt: Aufbau- und Abfolgegesetzlichkeit werden miteinander vermengt, und seine Dialektik kann sich alternativ und zugleich in der Synchronie wie in der Diachronie äußern - es ist überhaupt keine logische Möglichkeit mehr auszuschließen. Darüber hinaus wird die gegenwärtige Aktualisierung als unvergleichliches, einmalige Ereignis zum Allheilmittel, das gegen gewaltsame weltanschauliche oder wissenschaftliche Vorbestimmung eingesetzt wird. Alle Entwicklungen enden in der Gegenwart und werden durch das Nadelöhr des gegenwärtigen "gesellschaftlichen Willens" gezwängt, der alles sein kann, Bestätigung oder Überwindung, Auseinanderhervorgehen oder Ineinanderumspringen51, und Gesellschaft wird damit eigentlich zum selbstreferentiellen, oder sich selbst organisierenden System erklärt. Nach Freyer ist es die Aufgabe der Soziologie als "Ethoswissenschaft", den geschichtlich gültigen Willen zur Veränderung der Gesellschaft theoretisch zu formulieren; das ist ganz im Sinne einer positivistischen Ethik weitergedacht, bleibt jedoch eine nichtssagende Formel, solange die "Veränderung" praktisch alles meinen kann: die Bestärkung und den Widerspruch, die Verdrängung in der Segmentation oder die Durchsetzung in der "reinen Form", die Mixtur oder den Gestaltumschlag; so endet Freyers Logik der Konkretisierung im Glauben an das selbstreferentielle System.

Wahrscheinlich war es aber gerade der hohe ethische Anspruch an die Soziologie, bei gleichzeitigem Fehlen eines ausgearbeiteten, stringenten theoretischen Konzepts, der eine Reihe von erstklassigen und vor allem originellen historisch-soziologischen Arbeiten an Freyers Institut entstehen ließ. Ernst Manheims "Aufklärung und öffentliche Meinung", eine nicht mehr eingereichte Habilitationsschrift, sowie Arkadij Gurlands Dissertation "Marxismus und Diktatur", wurden von Hans Freyer betreut; beide Schüler gehörten später zum Umkreis der Kritischen Theorie im französischen Exil und in den USA. Der spätere Politologe Sigmund Neumann promovierte bei Freyer über den preußischen Konservativismus im 19. Jahrhundert, und seine heute noch beachtete Arbeit über die Parteien der Weimarer Republik ist aus Freyers Seminaren zur politischen Soziologie hervorgegangen, ebenso Hilde Reisig-Fischers Arbeit über den politischen Sinn der Arbeiterbildung, oder auch die Dissertation des katholischen Sozialisten Erich Thier über Theorie und Geschichte des deutschen Staatssozialismus; damit sind nur die Arbeiten genannt, die auch nach 1945 noch einmal aufgelegt wurden52. Hervorzuheben ist die "Staatslehre" des Leipziger Staatsrechtlers und Pädagogen Hermann Heller, die ohne Freyers Neukonzeption der Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft wohl nicht hätte geschrieben werden können. Nach Heller soll eine durch Praxis ständig hervorgebrachte, im "Volk lebendige" Rechtsanschauung die Staatsakte determinieren - die Rechtsordnung muß "Imperativ einer Gemeinschaftsautorität" sein, nur durch die Einbeziehung des gesellschaftlichen Wollens hat der Staat Bestand. Auch Heller will diese Integration mit Hilfe der Soziologie herbeiführen - sie ist, wie bei Freyer, sowohl Wissenschaft als auch politische Ethik; denn, indem sie aus dem analysierten Wirklichkeitszusammenhang den historischen Sinn eruiert, formuliert sie gleichzeitig den kollektiven "Imperativ", also die Intentionen der Gemeinschaft und ist damit der allzu leicht dogmatisch verfahrenden Rechtswissenschaft überlegen; diese bleibt auf die Aufgabe der inneren Logik der Rechtsnormen beschränkt53. Zahlreiche empirische Studien am Institut befaßten sich mit der großstädtischen Wohnbevölkerung der Stadt Leipzig, mit der Industrialisierung der sächsischen Landwirtschaft, oder auch mit dem gegenwärtigen Strukturwandel eines bulgarischen Dorfes, aber die Dominanz kultur- und sozialhistorischer Themen, ebenso eine Weiterentwicklung des Leipziger strukturgenetischen methodischen Ansatzes unter Einfluß von Freyers Wirklichkeitswissenschaft, ist nicht zu übersehen.

Diese Leipziger Wissenschaftsauffassung der zwanziger Jahre war andererseits bestens geeignet, die Leitbilder und Visionen der verschiedensten Reformbewegungen theoretisch zu rechtfertigen. Die Freyersche Geschichtskonzeption als Kontraktion der Vergangenheit in der Gegenwart, die einen radikalen Umschlag in einen völlig neuen Zustand anzeigt, ist als "Weltwende" oder "Menschheitsdämmerung" ebenfalls in den Erneuerungsmanifesten des Expressionismus zu lesen. Der Glaube an die eigenverantwortliche "Tat als Setzung", die eine entfremdete Gegenwart überwinden kann, war ein zentrales Dogma der Jugendbewegung. Das Wissenschaftsverständnis dieser Leipziger Generation war von einem lebenspraktischen Pathos getragen und konnte von Gruppen mit sozialpolitischen Zielen oder alternativen Weltanschauungen als Lebensphilosophie durchaus übernommen werden54. Hans Freyer verfaßte deshalb, wie früher seine Lehrer, populärphilosophische Essays, die den unterschiedlichsten weltanschaulichen Gruppierungen zur Selbstreflexion verhelfen sollten, statt sich direkt in einer politischen Organisation zu engagieren55. Walter Goetz war zwar als politischer Erbe Friedrich Naumanns und Mitglied des Reichstages politisch engagiert, aber in seiner damals einzigartigen Einrichtung des "Politischen Kolloquiums" an der Universität, das allen Fakultäten offenstand, erfüllte auch er die Rolle des wissenschaftlichen Erweckers, der mit äußerster Toleranz sowohl Nationalsozialisten wie Kommunisten zum Vortrag einlud, um dem akademischen Nachwuchs zur "demokratischen Selbstfindung" zu verhelfen56. Soziologie als geistige Bewegung wurde immer als Ergänzung zu einem anderen Fach betrieben und sollte die gemeinsame Reflexion des sozialen Engagements und der brennenden politischen Fragen ermöglichen57, und der Geist der Jugendbewegung wurde weitergetragen im öffentlichen sozialen Engagement, als Lehrer, als Bibliothekar oder in der Erwachsenenbildung.

Trotzdem hat Freyers Wirklichkeitsbegriff und die Wirklichkeitswissenschaft der zwanziger Jahre nicht lange überlebt - nach 1933 ist davon eigentlich nicht mehr die Rede. Bereits in seiner Schrift "Herrschaft und Planung" 1933 wird der radikale Aktivismus überwunden durch den Begriff der Planung, die nur langfristig möglich ist und eine stabile politische Macht voraussetzt, die selbstverständlich durch den Gemeinschaftswillen getragen sein muß58. Im Verlauf der politischen Katastrophe des Nationalsozialismus erweist sich für Freyer mehr und mehr die Ohnmacht seines früheren Konzeptes59. Noch einen Schritt weiter in der Ernüchterung geht Freyers Schrift "Preußentum und Aufklärung" 1944; hier fand Freyer zu einem "heilsamen Realismus", als er den Staat allein noch durch die Wohlfahrt des Individuums, sowie durch die langfristige Entwicklung der Gesellschaft gerechtfertigt sah60. Deutschland trieb damals, für jeden sichtbar, seinem Untergang entgegen - der Begriff einer sich selbst konstituierenden Wirklichkeit hatte seine Berechtigung gänzlich verloren, und die Leipziger Sozialwissenschaften schienen sich wieder eher der ursprünglichen strukturgenetischen Entwicklungstheorie anzunähern.


III. Geteiltes Land, geteilte Wissenschaft?
Wissenschaftliche Kontinuitäten in Leipzig und im westdeutschen "Exil".

Hans Freyer ist 1945 von seiner Gastprofessur in Budapest an die Universität Leipzig zurückgekehrt und hat am 1. März 1945 als Vertreter des Faches Soziologie die Leitung des Instituts für Kultur- und Universalgeschichte wieder aufgenommen und ab der Wiedereröffnung der Universität 1946 seine Lehrtätigkeit fortgesetzt. Schwerpunkte der Vorlesungen und Seminare blieben die Geschichtstheorie und die Entwicklungsgesetze des industriellen Zeitalters; Freyer formulierte nun seine Zielsetzungen im Anschluß an seine frühen kulturhistorischen Arbeiten vor 1925: "Fortführung der Bemühungen Wilhelm Diltheys u. a. um eine Theorie der geschichtlichen Welt, insbes. Herausarbeitung derjenigen Kategorien, die für die Erfassung weltgeschichtlicher Zusammenhänge notwendig sind. Das Ziel ist eine Geschichtsphilosophie inhaltlicher Art"61. Die Kontroversen um Freyer, die 1947 zur Beurlaubung und im Februar 1948 zu seiner Entlassung in Leipzig führten, wurden 1946 durch einen Artikel von Georg Lukács' ausgelöst62. Seine Ablehnung durch politische Instanzen und durch ein Gremium der Leipziger Studenten konnte aber weder mit politischen Aktivitäten noch mit einer Parteimitgliedschaft in der NS-Zeit gestützt werden; so wurde von diesen Gremien die damals übliche Dichotomie benützt: Wenn ein Wissenschaftler nicht zum antifaschistischen Widerstand gehörte, dann muß seine Theorie faschistisch sein. Allerdings stellte sich die Auswahl unter diesen Gesichtspunkten im allgemeinen als undurchführbar heraus. Die Schwierigkeiten, unter diesen Voraussetzungen überhaupt noch erfahrene Universitätslehrer zu finden, waren enorm - es gab kaum Professoren der älteren Generation, die sich der Arbeiterbewegung der zwanziger Jahre oder dem kommunistischen Widerstand angeschlossen hatten. So war es unvermeidlich, daß "bürgerliche Gelehrte" auf ihren Lehrstühlen verblieben, und ihre positive Mitwirkung beim Neuaufbau der ostdeutschen Universitäten wurde von der ostdeutschen Wissenschaftsgemeinschaft sehr bald anerkannt und hervorgehoben63. Auch an der Universität Leipzig hat man in bezug auf die Angriffe gegen Freyer ernsthaft erwogen, ihn an einer anderen ostdeutschen Universität zu beschäftigen64; er entschied sich jedoch für die heimliche Flucht über die "grüne Grenze" zusammen mit seiner Familie und für die Mitarbeit am alten Leipziger Brockhaus-Verlag in Wiesbaden.

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, im September 1939 in Budapest, hatte Hans Freyer sein größtes historisches Werk, die "Weltgeschichte Europas" in Angrif genommen - in vollem Bewußtsein, daß mit diesem Krieg eine von Europa ausgehende und auf Europa zentrierte Weltgeschichte unwiderruflich zuende sein würde - wieder brach mit einem Weltkrieg die bisherige Geschichte schlagartig ab, und Freyers "Festschreiben" der Vergangenheit (hier im im wörtlichen Sinn!) konnte nur mehr ein glückliches Erinnern vermitteln, ohne eine schöpferische Synthese in der Zukunft in Aussicht zu stellen. Sein Appell an das Abendland am Ende seiner Weltgeschichte wirkt nur noch resignativ, wenn er die Frage stellt, ob das Abendland nur eine Erinnerung und ein Überbleibsel sein wird65. Vielen Wissenschaftlern der jüngeren Generation nach dem Zweiten Weltkrieg galt Freyer damit eher als Prophet des Unheils, der die Tendenz der soziologischen Kritik, die doch in der Regel auf Zukunft und Fortschritt ausgerichtet sein sollte, zur romantischen "Kulturkritik" umkehre, die, ressentimentbeladen und in diffamierender Ausdrucksweise, nur noch durch den Rekurs auf die Paradoxie und die "Dialektik" rechtbehalten kann66.

In der Nachkriegszeit durch seine "Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" (1955) wohl der bekannteste theoretiker der modernen Industriegesellschaft im deutschsprachigen Raum, hat Freyer die Leipziger geschichtsphilosophie Verortung der Soziologie beibehalten: Nach wie vor stellt sie, historisch an einem bestimmten Punkt der gesellschaftliche Entwicklung entstanden, immer zugleich die geschichtsphilosophische Standortbestimmung der gegenwärtigen Gesellschaft dar. Unter diesen Leitgedanken stellte Freyer als Präsident den von ihm organisierten Weltkongreß des Institut International de Sociologie in Nürnberg 1958. Er konnte während seiner zehnjährigen Lehrtätigkeit von 1953 bis 1963 als Professor Emeritus an der Universität Münster noch einmal einen Schülerkreis um sich sammeln, der trotz Proklamation eines Neubeginns und Kritik an der älteren Generation von Freyers kulturhistorischen Analysen der Industriegesellschaft deutlich geprägt wurde, sich aber, wie der Schülerkreis der ebenso bewegten Zwischenkriegszeit, keinesfalls einer Freyerschen theoretischen Konzeption im engen Sinn verpflichtet fühlte. Eine Leipziger Kontinuität blieb auch personell gewahrt, da Freyers Schüler Helmut Schelsky den Münsteraner Lehrstuhl 1963 übernahm. Es lassen sich, wenn auch im nüchternen und pragmatischen Stil der Nachkriegsgeneration, Leipziger Grundlinien weiter verfolgen. Durch Helmut Schelskys Übernahme der Leitung der Sozialforschungsstelle Dortmund im Jahre 1960, ein durch empirisch-wissenschaftliche Begleitung der ersten Aufbauphase der Bundesrepublik bereits international bekanntes außeruniversitäres Forschungsinstitut67, entstand noch einmal ein Zentrum der früheren Leipziger Soziologie. Unter Schelsky wurde die Sozialforschungsstelle, nun institutionell der Universität Münster angegliedert, zur wichtigsten soziologischen Nachwuchsschule in der BRD; zwischen 1961 und 1970 sind von Schelsky, oft unter Mitwirkung von Hans Freyer, mehr Soziologen habilitiert worden, als während der gesamten Nachkriegszeit an irgendeiner anderen deutschen Universität68. Die ältere Generation, Hans Freyer, Gunther Ipsen, oder auch Arnold Gehlen, wirkten z.T. auch nach ihrer Emeritierung als Lehrer und Berater an der Sozialforschungsstelle, und unter ihrem Einfluß erfuhr die empirische Sozialforschung, auch als Tatsachenbeschreibung der Gegenwartsgesellschaft vor jeglicher normativen Verarbeitung im Sinne Schelskys, eine starke allgemeintheoretische Fundierung und wurde nach wie vor als Bestandteil einer historisch-philosophischen Reflexion der sozialen Existenz begriffen.

Bei Hans Freyer selbst hat sich nach 1945 die Analyse von Kulturgebilden auf den ersten Blick nicht grundsätzlich geändert. Er entwirft die Ordnung des zivilisatorischen Fortschritts durch die historische Herausbildung des Fortschrittsbegriffs im wissenschaftlichen und philosophischen Denken der letzten zwei Jahrhunderte, zeigt dabei dessen Polarität zwischen naturgesetzlich fortschreitender Entwicklung und aktivem menschlichen Vollzug auf und weist nach, wie diese Fortschrittsordnung zum tragenden Kulturfaktor, zum "Modus des wirklichen Geschehens" wird, mit all ihren Teilentwicklungen: der Technik, der Siedlung, der Arbeit, mit ihren Tiefenschichten des Bevölkerungswachstums, der Einstellungen und Wertungen. Die historische Entwicklung läuft nach wie vor in der Gegenwart aus, aber es fehlt nun die integrative Perspektive: Die Kultursynthese, die von der gegenwärtigen Gesellschaft durch aktive Gestaltung erbracht wird. Nach Freyer können die "Entfremdungen" des zivilisatorischen Fortschritts jetzt nicht mehr integriert werden als neue Kulturformen; ein Mißverhältnis zwischen dem technischen "Fortschritt" und den menschlichen "haltenden Mächten" ist die Folge. Das bewährte Leipziger Konzept des emergenten Gesetzes oder kulturellen Codes scheint seine Berechtigung verloren zu haben; denn die "haltenden Mächte" Freyers konkretisieren sich nicht mehr in kulturellen Objektivationen oder vielschichtigen Sinngehalten, sondern werden, angesichts des übermächtigen und eigengesetzlichen Zivilisationsprozesses, reduziert auf deren nur die private Lebenswelt beherrschende Surrogate: intakte Lebensform, Lebendigkeit, menschlicher Sinn, menschliche Fülle und Fruchtbarkeit69. Der kulturelle Code reduziert sich auf eine lediglich in den Individuen noch vorhandene "Potentialität" - statt Kultur als Objektivation jetzt nur mehr Kultur als "Menschlichkeit", aus der in Zukunft vielleicht wieder Kulturformen entstehen können, die aber genau so gut in totaler Anpassung des Menschen an das "Sekundäre System" des technischen Fortschritts enden könnte. Die Reziprozität von Struktur und sozialer Aktualisierung endet in der Unvereinbarkeit von rein sachgesetzlichem "Fortschritt" und den "haltenden Mächten" des individuellen Rückzugs70. "Geschichtliche Situationen, in denen der Sachprozeß des Fortschritts zum Katarakt anschwillt, sind die Durststrecken der Menschlichkeit", da die Industriekultur mit ihren extrem künstlichen Welten einen übermäßigen Anpassungsdruck auf den Menschen ausübt und mit ihrer Perfektion den Menschen seine Freiheit gar nicht mehr vermissen läßt. Die gegenwärtige Kultur ist im Ungleichgewicht, denn die künstlichen Sachwelten können durch das soziale Leben nicht mehr kreativ geformt werden, da dieses sich in jene "hineinopfert"71.

Die polare Auseinanderentwicklung verschiedener Teilsysteme ist einerseits nicht aufzuhalten und könnte alles Menschliche vernichten; andererseits bleibt diese unüberwindliche Kluft doch eine Erscheinung eines gegenwärtig sich vollziehenden epochalen Übergangs in eine völlig neue Kulturperiode. Die Synthese von "Leben" und "Form", von Menschlichkeit und technischer Zivilisation - zwar noch keineswegs erreicht und durch Fehlentscheidungen äußerst gefährdet -bleibt für Freyer der Inbegriff jeder wirklich fundierten Kultur, in der gegenwärtigen Krise unmöglich, aber durchaus denkbar "jenseits der Schwelle", wenn nach dem Übergang, der sich bisher ganz auf die Gewinnung eines neuen Lebensmilieus und die ihr gemäße Technik konzentriert hat, sich einmal eine neue geschichtliche Epoche der weltumspannenden Industriekultur konsolidieren wird72. Wie diese neue Gesamtkultur jedoch erreicht werden soll, bleibt völlig unklar. Zwar deutet Freyer immer wieder komplexe Zusammenhänge an - z.B. die Möglichkeit der Verschmelzung der Industriekultur mit anderen kulturellen Traditionen oder auch die positive Chance, die die modernen Institutionen gerade durch ihre Partialität und "Entfremdung" für andersartige Kulturen bieten könnten73, führt sie aber dann nicht weiter aus. Vielleicht hätte er den entscheidenden Schritt zur Anwendung dieser Ideen in seinem letzten, unvollendet gebliebenen Werk, der "Theorie der Industriegesellschaft", noch leisten und damit eine theoretische Balance der Leipziger Formel Struktur-Genese-Aktualisierung wiedergewinnen können74; so ist aber seine Kulturtheorie letztlich unvollendet geblieben.

Bei Helmut Schelsky, wie auch bei Arnold Gehlen, spielt die Epochenschwelle als Krisenzeit gleichfalls eine ausschlaggebende Rolle in der Erklärung der gegenwärtigen Situation. Auch Schelsky sieht die Reziprozität in der Entwicklung von Sachwelten oder kulturellen Objektivationen und dem menschlichen Handeln und der Reflexion, z.B. in der Religion, endgültig annulliert. Er begnügt sich jedoch nicht mit der sozialen und individuellen Anpassung zum Zwecke des Überlebens in den entfremdeten Sachwelten; nach ihm läßt sich jetzt ein dialektischer Umschlag insofern feststellen, als die Reflexionssysteme umgekehrt ein neues Spannungsverhältnis den eigengesetzlichen Sachwelten gegenüber errichten müssen, vielleicht sogar gegenläufige Strukturen und Ordnungen entwickeln müssen, damit es in Zukunft zu einer neuen Reziprozität der Kräfte kommen könne. Aber auch er endet, wie Freyer, in einer Anpassung als sehr fügsame Angleichung, wie z. B. der Religion an die Formen der Massendemokratie, an die industrielle Arbeitswelt, oder an die Freizeitwelt und Unterhaltung75. So hat Schelsky zwar im Begriff der wissenschaftlichen Zivilisation die Wirklichkeit der "sekundären Systeme" sehr realistisch einbezogen, und er hat das Leipziger positivistische Differenzierungsmodell in seiner Institutionentheorie, die die Steigerung bisher unbekannter Folgebedürfnisse in Folge-Institutionen einmünden läßt, weiterentwickelt. Aber der pejorative Ton ist auch bei ihm unüberhörbar: "Der Mensch ist sich selbst als soziales und als seelisches Wesen eine technisch-wissenschaftliche Aufgabe der Produktion geworden". Die Polarisierung zwischen den abstrakten Ordnungen und Superstrukturen und den kleinen, intimen Gruppen ist auf die Spitze getrieben, und eine Lösung wird nur noch in einer Richtung gesucht: "Nicht Verallgemeinerung, nicht abstrakte Orientierung über das Ganze, sondern Verlebendigung des Unmittelbaren, 'Vergegenwärtigung' (...) ist die geistige Aufgabe der Stunde"76.

Arnold Gehlen benützt das Schwellentheorem im Begriff des "posthistoire", mit dem er das Epochenende kennzeichnet als "denjenigen Zustand auf irgendeinem kulturellen Gebiet (...) der eintritt, wenn die darin angelegten Möglichkeiten in ihren grundsätzlichen Beständen alle entwickelt sind"77. Auch Gehlen wurde der Resignation und der Melancholie bezichtigt, denn mit der Auffassung vom posthistoire ist auch jegliche Hoffnung auf Veränderung entschwunden. Die universale technische Zivilisation kristallisiert sich als ein sich selbst steuerndes System, das abgelöst von kontingenter Wirklichkeit und entschlossenem Eingriff durch Handeln in einer sich selbst reproduzierenden Struktur erstarrt. Ob dies als Rückzug aus dem Raum der Geschichte, als Ausscheren aus dem sozialen Sinnstiftungsprojekt angesichts der Gewalt der Apparate zu werten ist, bleibt noch zu überprüfen78, denn auf der Grundlage der Leipziger Theorietradition könnte sich Gehlen ebenso der Konzeption Hendrik de Mans angeschlossen haben, der unter posthistoire nicht die Lethargie einer Kultur, sondern einen Eintritt in eine neue Phase des Weltgeschehens versteht, die aus der bisherigen historischen Entwicklung völlig herausfällt - und das wäre der Umschlag in ein neues Zeitalter, vielleicht noch immer im Lamprechtschen Sinn. Die Doppelsinnigkeit der Gehlenschen Analysen blieb auch nicht unbeachtet: Die Kristallisation der sekundären Systeme und die fügsame Anpassung des Menschen daran mögen einerseits in abendländischer Denktradition als "Krise" beklagt werden; sie werden andererseits von Gehlen selbst nüchtern als notwendige Entwicklungserscheinung der Industriegesellschaft klassifiziert und damit "ins gemäßigt Positive einer der Stabilisierung des menschlichen Lebenszusammenhangs dienlichen Entwicklung gewendet", da der Mensch als riskierte, instinktschwache Existenz auf kompensatorische Handlung als Entlastung und Stabilisierung angewiesen ist - der Trend zur Selbstregulation ist als typische und effektivste Verarbeitung aller Daten im komplexen System aufzufassen. Auf anthropologischer Ebene kann also durchaus eine langfristige Entwicklungsdynamik angenommen werden; dabei wird Gehlen eine "grandiose Konsequenz der Durchhaltung übergreifender erkenntnisleitender Gesichtspunkte" attestiert79, was zur eingehenden Analyse der immanenten Logik der Leipziger Theorietradition geradezu herausfordert.

Heute wird jedenfalls anerkannt, daß mit den für die Soziologie so problematischen Konzepten der Epochenschwelle und der Eigengesetzlichkeit kollektiver Strukturen eine Neuorientierung der deutschen Geschichtswissenschaft in die Wege geleitet worden ist. Nach 1945 wurde Freyers Modell der weltgeschichtlichen "Schwelle" (insbesondere der Übergang der westlichen Kultur um 1800 in das Industriezeitalter in seiner Weltgeschichte Europas) zum wichtigsten Interpretament, mit dem endlich - sehr verspätet - auch in Deutschland die evolutionäre Entwicklungsgeschichte überwunden und eine sozialwissenschaftlich orientierte "Strukturgeschichte" begonnen werden konnte. Außerdem wurde damit der bisher immer noch national orientierte historische Diskurs nun endlich zu einem europäischen Diskurs ausgeweitet80. Die Annahme der "Sachgesetzlichkeit" oder Eigendynamik der sekundären Systeme war für den Fortschritt zur Strukturanalyse sogar ausschlaggebend.

An der Leipziger Universität wurden nach 1947 in der Soziologie die Leipziger wissenschaftlichen Traditionen offensichtlich abgebrochen, während man sich in der Geschichtswissenschaft nach wie vor auf das Erbe Karl Lamprechts berief. "Gleich unter welchem Firmenschild und wie gerahmt, waren und blieben wir unter uns, nach wie vor der jeweiligen Hochschulreform, ganz einfach das Lamprecht-Institut"; symbolisiert wurde dieses Erbe durch den aus den Trümmern geretteten Schreibtisch Karl Lamprechts, den seine Nachfolger heilig hielten81. In gewisser Weise schien man sich nach wie vor einem Lamprechtschen Universalismus verpflichtet zu haben - man sah sich "im geographisch-räumlichen Sinn" in einer Lamprecht-Tradition der "histoire totale"82, die die ökonomischen Grundlagen, die Siedlungsformen ebenso wie Sozialstruktur und Kultur einschloß. Das Institut für Kultur- und Universalgeschichte wurde 1951, im Zuge der Reorganisation der Geschichtswissenschaften nach marxistisch-leninistischer Parteiideologie, geschlossen, danach aber innerhalb der Fakultät für Geschichtswissenschaft eine Abteilung für Landes- und Siedlungsgeschichte eingerichtet, die man in Leipzig als Fortsetzung der Tradition des Lamprecht-Instituts verstand83. Da die sowjetischen historischen Wissenschaften an einer am Eigenwert einer jeden Kultur orientierten Trennung der nationalen Geschichten festhielten, konnte jegliche Tendenz zur Verallgemeinerung von Siedlungsformen und Regionalentwicklung als universalhistorische Gegenposition wiederum verdächtig erscheinen, jetzt gegen die sowjetisch kontrollierte offizielle Geschichtsschreibung. Hinzu kam, daß der erste Direktor des Instituts für Kultur- und Universalgeschichte nach Hans Freyer, Walter Markov, 1951 aus der SED ausgeschlossen wurde und auch später nie wieder der SED beigetreten ist, seinen Lehrstuhl jedoch bis zu seiner Emeritierung behielt. So traten die Studenten der Geschichtswissenschaft bei Markov eine schwierige Leipziger Erbschaft an: Sie litten unter dem "Markovianer-Syndrom", wie früher die Lamprecht-Schüler in der deutschen Geschichtswissenschaft die Ablehnung ihres Lehrers zu spüren bekamen84. Lamprecht wurde in Leipzig eher positiv-kritisch als fortschrittlicher bürgerlicher Historiker rezipiert, während die polemische Ablehnung Lamprechts durch Jürgen Kuczynski in Berlin stark an die früheren Auseinandersetzungen um Lamprecht erinnert, die aber impliziert, daß es in Leipzig auch jetzt wieder eine wissenschaftliche Gegenströmung gab, die vor allem von Berlin aus bekämpft wurde85.

Eine gewisse Anknüpfung an die Leipziger Schule der Zwischenkriegszeit zeigt sich durch die Tatsache an, daß die Habilitation Walter Markovs in Leipzig nach seinen ausdrücklichen Wunsch von Hans Freyer begutachtet und unterstützt wurde. Markov hatte im Herbst 1927 sein Studium der Geschichte in Leipzig begonnen, um dann in Berlin bis 1933 das Studium fortzusetzen. Auch wenn er später berichtete, daß vom übergreifenden Geist des Lamprecht-Instituts in diesen zwanziger Jahren nichts zu spüren war, und von seinen Leipziger Professoren keinen nennen konnte, als dessen Schüler er sich bezeichnen wollte86, so mußte er Freyers damalige wissenschaftliche Position zur Kenntnis genommen haben, alleine schon durch die geschilderte enge Verbindung des soziologischen mit dem kulturhistorischen Institut. Markovs Entscheidung für Freyer als Gutachter führte in eine problematische Situation - es mußte dazu eine Sondergenehmigung des Rektors Hans Georg Gadamer eingeholt werden, da Hans Freyer bereits von seiner Lehrtätigkeit suspendiert war87; personalstrategische oder wissenschaftspolitische Vorteile konnten also kaum die Beweggründe Markovs gewesen sein88. Hinzu kommt, daß Markov noch 1961, in einer gesondert gedruckten Bibliographie in englischer Sprache, die Gutachter seiner Habilitation, Hans Freyer und Maximilian Lambertz, namentlich angab - ein in der Wissenschaft unübliches Verfahren und, bezogen auf die damalige wissenschaftliche und politische Situation und auch auf die englischsprachige Leserschaft, vorerst nur so zu erklären, daß Markov sich der Leipziger sozialwissenschaftlichen Tradition in gewissem Maße doch verbunden fühlte. Freyer hebt in seiner Begutachtung der Habilitationsschrift Markovs hervor, daß dessen historisch-materialistische Geschichtsauffassung "so umsichtig und so vorsichtig vorgenommen (wird), daß der historische Materialismus nie zum blickverengenden Dogma, sondern zur aufschließenden Fragestellung und zur fruchtbaren Arbeitsmethode wird (...) und sein Blickkreis ist so weit, daß er immer auch die anderen wirksamen Kräfte, z.B. die sittenhaften, die historisch-traditionellen, die nationalen, die literarischen und kulturellen in Rechnung setzt. Insbesondere hat der Verfasser ein sehr sicheres Gefühl dafür, daß die Machtinteressen von Staaten (...), wenn sie in Beziehung zueinander gesetzt werden, eine Sphäre eigengesetzlicher Wirkungen und Gegenwirkungen ergeben, so daß die politischen Akte keineswegs durchgängig und keineswegs direkt ökonomisch erklärt werden können"89. Über die Art und Weise, wie eine historische Sozialwissenschaft vorzugehen habe, stimmten der ältere und der jüngere Leipziger offensichtlich weitgehend überein.

Im Rückblick wird die Hauptintention des Markov-Instituts darin gesehen, "der drohenden Dominanz der 'DDR-Nationalgeschichte' und der Zeitgeschichte des Realsozialismus eine auf das Phänomen Revolution orientierte Universalgeschichte historischer Dimension entgegenzusetzen", die jedoch noch nicht genauer dargestellt ist90. Der Ausschluß Markovs als "Titoist", der die Probleme des Klassenkampfes zu verwischen versuchte91, die Ablehnung seiner Freunde, des Philosophen Ernst Bloch und des Literaturwissenschaftlers Hans Mayer, die mit ihm und dem dem ... Kraus wiederum eine enge Diskussionsrunde bildeten und beide als "Revisionisten" zur Emigration in die Bundesrepublik gezwungen waren, könnten Hinweise dafür sein, daß sich in Leipzig Züge einer "positivistischen" Sozialwissenschaft und Sozialphilosophie - im ursprünglichen Leipziger Sinn, nicht im Sinn der marxistischen Kritik am westlichen Positivismus - erhalten haben, in der nach wie vor die "Praxis" einen gleichgewichtigen, wenn nicht übergeordneten Rang neben Strukturen und deren Genese behält. Jetzt allerdings müßte man diese Konzepte in marxistischer Formulierung suchen, also z.B. eine Bevorzugung des Dialektischen Materialismus vor dem Historischen Materialismus, oder auch die Ersetzung des Begriffes der "Totalität" durch einen zeitgemäßen Strukturbegriff, der relative Konstanz und wechselnde Relationen verbinden könnte. Um diese beiden Themen wurden seit den 60er Jahren in der DDR wichtige wissenschaftliche Diskussionen geführt, allerdings ist eine diesbezügliche "Leipziger" Position bisher nicht analysiert worden. Auf jeden Fall kann die Entwicklung der Geschichts- und Sozialwissenschaften der DDR weder nur anhand von Parteibeschlüssen und politischen Maßnahmen periodisiert werden, noch als ganze einheitlich aufgefaßt werden.

Seit den achtziger Jahren wird in Leipzig versucht, eine empirische Globalgeschichte neuen Typs anstelle der klassischen Universalgeschichte zu betreiben, die Konzepte und Auffassungen Karl Lamprechts in empirischer Ernüchterung zu übernehmen versucht:
- Seine Forderung, das Universale im Regionalen zu suchen;
- seinen strukturellen Ansatz, der die Verflechtungen zwischen Mikroregionen (Landschaften) und Großregionen (Kultur- und Sprachräume) berücksichtigen kann;
- sein universalistisches wissenschaftliches Ethos, das alle zu untersuchenden Regionen prinzipiell als gleichwertig ansieht, um Kriterien für Vergleiche zu gewinnen und vorgreifende Hierarchisierungen zu vermeiden92,
allesamt theoretische und methodische Forderungen, die an die Leipziger Tradition anschließen und gleichzeitig die Verbindung zum internationalen Dialog über die "global history" herstellen sollen.
Im internationalen wissenschaftlichen Diskurs werden heute einer unhistorisch gewordenen, rein empirischen Soziologie, die nach Norbert Elias den "Rückzug in die Gegenwart" angetreten hat, gravierende Defizite angelastet: Extrapolation einer eindimensionalen Entwicklung in die Zukunft, oder auch die Übertragung westlicher Modelle der Kulturentwicklung auf die Weltentwicklung. Die Wiederaufnahme einer nicht ideologischen "historischen Soziologie" wird erneut gefordert93; denn die Geschichte auf das "Individuelle" oder auch auf die "Erzählung" als kreativen Widerpart zur Analyse zu beschränken, ist ebensowenig vertretbar, wie die Beschränkung der Soziologie auf eine Empirie des Hier und Jetzt. Die Leipziger Tradition einer historisch-komparativen Sozialwissenschaft könnte wieder an Aktualität gewinnen, da sie nach wie vor die Möglichkeit enthält, strukturale und generische Perspektiven zu verbinden, ohne einerseits bei einer universalen Theorie der Menschheitsentwicklung zu enden, oder andererseits erneut in eine Metaphysik des Handelns und der Entscheidung zu verfallen. Nur durch Kenntnis der früheren theoretischen Versuche, auch ihrer Fehlentwicklungen, lassen sich gegenwärtige Irrwege - wie ein kulturchauvinistischer Geschichtsbegriff, die Vorstellung einer alles vereinigenden Weltkultur, oder die Erfassung von Entwicklungsprozessen als unilineare Extrapolation tradierter Erfahrungen oder Analogien - vermeiden.

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1 Vgl. Walter Goetz (Hrsg.), Propyläen-Weltgeschichte, Bd. 1, Das Erwachen der Menschheit. Berlin 1931, Einleitung XXI, XXIVf., XXVIIf.

2 Hans Freyer, Systeme der weltgeschichtlichen Betrachtung, in: Goetz (wie Anm. 1) 1-28, Zit. 3.

3 Erste Darstellung des Kränzchens in Luise Schorn-Schütte, Karl Lamprecht. Kulturgeschichtsschreibung zwischen Wissenschaft und Politik. Göttingen 1984, 78-90. Weiter ausgearbeitet durch Roger Chickering, Das Leipziger "Positivistenkränzchen" um die Jahrhundertwende, in: Rüdiger v. Bruch, Gangolf Hübinger (Hrsg.), Zwischen Idealismus und Positivismus. Stuttgart 1995.

4 Vgl. Schorn-Schütte, Karl Lamprecht (wie Anm. 3), 88.

5 Roger Chickering (wie Anm. 3) gibt hierzu einen Überblick und bezieht sich auf zahlreiche Studien zu Werk und Wirken der Mitglieder des Kränzchens.

6 Unter diesem Titel hat Max Scheler seine Aufsätze der auch wissenschaftlich sehr bewegten Jahre 1911-1914 vorgelegt. Vgl. Max Scheler, Gesammelte Werke, Band 3, Bern 1972.

7 Vgl. Schorn-Schütte, Karl Lamprecht (wie Anm. 3), 121. Zu Wundt vgl. Alexander Goldenweiser, The psychosociological Thought of Wilhelm Wundt, in: Harry Elmer Barnes, ed., An Introduction to the History of Sociology. Chicago 1948, 216-226, hier 224, Anm. 7; Hermann K. Haeberlin, The theoretical foundations of Wundt's folk psychology (1916), in: R. W. Rieber, Wilhelm Wundt and the making of a scientific psychology, New York 1980, 229-249.

8 Vgl. Peter Christian Ludz, Der Strukturbegriff im Marxismus, in: ders. (Hrsg.), Soziologie und Sozialgeschichte, Sh. 16 der Kölner Zeitschrift f. Soziologie und Sozialpsychologie, Opladen 1972, 419-447, hier 424.

9 Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes. Eine Einleitung in die Kulturphilosophie (1923). Reprogr. Nachdruck Darmstadt 1966, 138 f.

10 Zum Methodenpluralismus bei Wundt vgl. Elfriede Üner, Wilhelm Wundt, in: LARG International Dictionary of Anthropologists, New York 1991.

11 Vgl. Émile Durkheim, La philosophie dans les universités allemandes, in: Revue internationale de l`enseignement 13, 1887, 313-338, 423-440. Ebenso Émile Durkheim, La science positive de la morale en Allemagne, in: Revue philosophique de la France et de l'Étranger 24, 1887, 33-58, 113-142 (insbes. zu Wundt), 275-284; er bezieht sich auf Wilhelm Wundt, Ethik. Eine Untersuchung der Thatsachen und Gesetze des sittlichen Lebens, 3 Bde., Stuttgart 1886.

12 Vgl. Schorn-Schütte, Karl Lamprecht (wie Anm. 3), 102, 110, 117.

13 Walter Michael Simon, European Positivism in the nineteenth century. Ithaca 1963, ch. IX, German Positivism, 238-263. Diese Studie hat offensichtlich Roger Chickering dazu veranlaßt, das Leipziger Debattierkränzchen als "Positivistenkränzchen" zu bezeichnen (s. Anm. 3).

14 Der Begriff Positivismus ist im Zusammenhang einer wissenschaftlichen "Bewegung" im oben skizzierten Sinn sozusagen "archaischer" und näher an seiner ursprünglichen Bedeutung aufzufassen, als er heute - in Kenntnis seiner Weiterführung und Zuspitzung durch den "logischen Positivismus" oder "logischen Empirismus" des Wiener Kreises - gebraucht wird. Positivismus kennzeichnete, bezogen auf Leipzig, ganz allgemein die Ablehnung jeglicher Metaphysik und spekulativer Philosophie, wobei sowohl die großen idealistischen Systeme, als auch Materialismus und Naturalismus als unzulässige Reduktion der konkreten Wirklichkeit und als Geist- bzw. Naturmetaphysik bewertet wurden. Zum Positivismus als Säkularisierung der Philosophie und der theologisch oder metaphysisch fundierten Ethik vgl. Hermann Lübbe, Politische Philosophie in Deutschland. Basel 1963, Dritter Teil; Hermann Lübbe, Säkularisierung. Geschichte eines ideenpolitischen Begriffs. Freiburg 1965, 41-44.

15 Nicolai Hartmann, Möglichkeit und Wirklichkeit, Berlin 1938, 57f.: Realwirklichkeit; Georg Simmel, Der Begriff und die Tragödie der Kultur, in ders., Philosophische Kultur (1923), Berlin 1983, 183-207; Alfred Weber, Kulturgeschichte als Kultursoziologie. Leiden 1935.

16 Vgl. Wilhelm Wundt, Ethik (wie Anm. 11), I 284ff., II 58, 71-78, Stuttgart 1923, 5. Aufl. Vgl. hierzu auch Hermann Lübbe, Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse, Basel-Stuttgart 1977, 56f., 66. Zu Fechner vgl. Michael Heidelberger, Die innere Seite der Natur. Gustav Theodor Fechners wissenschaftlich-philosophische Weltauffassung. Frankfurt/M. 1993, 135, 139, 349, 361ff. Lorenz Krüger u.a., eds., The Probalistic Revolution, vol. 1: Ideas in History. Cambridge, Mass. 1987.

17 Joachim Ritter/Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie. Basel 1989, vgl. Bd. 7, "Positiv, Positivität" und "Positivismus". Die Kritik "philosophische Technokratie" von Max Horkheimer, Kritik der instrumentellen Vernunft (1947). Frankfurt 1967, 64.

18 Auch den Begriff "Apperzeption" hat Wundt von Fechner übernommen; er bringt zunächst eine kreative und individuelle Komponente ins Spiel, denn der Begriff bezieht sich ja auf die subjektive Selektion von Eindrücken und auf die spontane Zuwendung zu bestimmten Erscheinungen in der verwirrenden kulturellen Vielfalt. Damit sollte die Annahme einer natürlich-organischen Steuerung durch Triebe etc. ausgeschaltet werden, aber keineswegs die Steuerung der subjektiven Willkür überlassen werden. Die gleichen äußeren Ereignisse werden von Individuen unterschiedlich wahrgenommen aufgrund ihrer "Natur" bzw. ihrer strukturellen Eingebundenheit, aufgrund ihrer individuellen Erfahrung oder Geschichte, und aufgrund ihres gegenwärtigen Geisteszustandes; Apperzeption bedeutet die schöpferische Synthese dieser drei Komponenten und damit eine viel komplexere Steuerung des Handelns. Vgl. hierzu Heidelberger, Die innere Seite der Natur (wie Anm. 16).

19 Nach Goldenweiser in Barnes, ed. (wie Anm. 7) gilt Wundt als Klassiker der Soziologie.

20 Vgl. Schorn-Schütte, Karl Lamprecht (wie Anm. 3), 134.

21 Vgl. Schorn-Schütte, Karl Lamprecht (wie Anm. 3), 33f., 135.

22 Vgl. Karl Gustav Faber, Ausprägungen des Historismus, in: Historische Zeitschrift, 228, 1979.

23 Vgl. Klaus Christian Köhnke, Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus. Frankfurt/M. 1993 (Tb.-Ausg.), 431f.

24 Auch in Leipzig gab es "Konversionen" zur Wertphilosophie: Noch im Jahr 1875 wollte der Leipziger Dozent Wilhelm Windelband die Entstehung von Normen psychogenetisch durch die Völkerpsychologie erforschen - vgl. Windelband, Die Erkenntnislehre unter dem völkerpsychologischen Gesichtspunkte, in: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 8, 1875, 166-178. Dieser völlig unbekannte Aufsatz Windelbands weist ihn eindeutig als "Leipziger" aus; noch 1878 arbeitete er eine "experimentelle Ästhetik" aus als Produkt der menschlichen Entwicklung und der "gesteigerten Empfänglichkeit" - vgl. Windelband, Über experimentelle Ästhetik, in: Im Neuen Reich 8, 1878, 1. Bd. 601-616. Die Bekehrung Windelbands zur Wertphilosophie (vgl. den Vortrag 1882 "Was ist Philosophie?" in: Windelband, Psäludien, Freiburg-Tübingen 1884, 1-53) ist erstmals ausgearbeitet durch Köhnke, Neukantianismus (wie Anm. 23), insbes. 416-422.

25 Vgl. Karl Lamprecht, Moderne Geschichtswissenschaft. Freiburg/Br. 1905, 3, 98. Hierzu Wilhelm E. Mühlmann, Geschichte der Anthropologie. Frankfurt/M. 1968, 122f.

26 Wie Émile Durkheim berichtete, müßten deutsche Gelehrte nach Paris fahren, um zwar nicht von der Existenz, aber von der weltweiten wissenschaftlichen Bedeutung Wundts Kenntnis zu erhalten. Vgl. Émile Durkheim, La philosophie (wie Anm. 11), 331.

27 Vgl. Karl Bücher, Lebenserinnerungen, 1. Band 1847-1890. Tübingen 1919, 447-452.

28 Vgl. Woodruff Smith, Politics and the Sciences of Culture in Germany 1840-1920. Oxford 1991, 106, 141-146.

29 Vgl. Gerhard Oestreich, Die Fachhistorie und die Anfänge der sozialgeschichtlichen Forschung in Deutschland. In: Historische Zeitschrift 208, 1969, 320-363, hier 332-337.

30 Herbert Schönebaum, Zum hundertsten Geburtstag Karl Lamprechts am 25. Februar 1956, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig 5, 1955/56, gesellschafts- und sprachwissenschaftl. Reihe, H. 1. Walter Goetz, Lamprechts Deutsche Geschichte, in ders., Historiker in meiner Zeit. Köln 1957.

31 Zu Friedrich Ratzel s. Wilhelm E. Mühlmann, Geschichte der Anthropologie (wie Anm. 28). Zu Karl Bücher vgl. Neue Deutsche Biographie, 2. Bd., 1955; ebenso Walter Goetz, Karl Bücher, in: Historiker in meiner Zeit (wie Anm. 33), 277-285. Der beachtliche Anstieg der Anzahl der Studenten im Lamprechtschen Institut ist dokumentiert in Schorn-Schütte, Karl Lamprecht (wie Anm. 3), 249.

32 Max Weber hat sich in seinen Aufsätzen zur Wissenschaftslehre deutlich gegen Wundts und Lamprechts theoretische Annahmen und Methoden gewandt. In der Kultur gibt es für Weber keine sachlogische Ordnung - sein berühmtes Zitat vom "chaotischen Strom von Geschehnissen" ist vor allem gegen die Leipziger Position gerichtet: (...) "flüssig bleibt damit der Umkreis dessen, was aus jenem stets gleich unendlichen Strome des Individuellen Sinn und Bedeutung für uns erhält. (...) Die Ausgangspunkte der Kulturwissenschaften bleiben damit wandelbar in die grenzenlose Zukunft hinein". Aus diesem Grund wäre für Weber ein System der Kulturwissenschaften - "auch nur im Sinne einer definitiven, objektiv-gültigen, systematisierenden Fixierung der Fragen und Gebiete, von denen sie zu handeln berufen sein sollen, (...) ein Unsinn in sich". Das ist wohl die berühmteste und härteste Absage, die die Leipziger jemals erhalten haben. Vgl. Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904), in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1973 (4. Aufl.), 180, 184.

33 Der Einfluß des zeitweiligen preußischen Kultusministers C. H. Becker und des Hochschulreferenten im sächsischen Kultusministerium, Robert Ulich, früher Mitschüler und Kommilitone Freyers, auf Freyers Berufung nach Leipzig, als Kompromißkandidat zwischen Oswald Spengler bzw. Othmar Spann einerseits und dem Austromarxisten Max Adler andererseits, ist dokumentiert in Jerry Z. Muller, The Other God that Failed. Hans Freyer and the Deradicalization of German Conservatism. Princeton 1987, 138-141.

34 Vgl. Bericht über das Institut für Kultur- und Universalgeschichte bei der Universität Leipzig, in: Archiv für Kulturgeschichte 16, 1925/26, 109.

35 Der Philosoph Hugo Fischer las für Philosophen und Soziologen, die Religionswissenschaftler Joachim Wach und Paul Tillich lasen auch für das soziologische Institut, Freyer lehrte zugleich für das Seminar für Freies Volksbildungswesen, das der Pädagoge Theodor Litt zusammen mit dem Staatsrechtler Hermann Heller initiiert hatte; der Soziologe Gunther Ipsen lehrte Geschichtsphilosophie auch für das Institut für Kultur- und Universalgeschichte usw.

36 Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, in: Richard Thurnwald (Hrsg.), Soziologie von heute. Leipzig 1932, 14-23.

37 Ausführliche Biographie von Wolf Volker Weigand, Walter Wilhelm Goetz, 1867-1958. Eine biographische Studie über den Historiker, Politiker und Publizisten. Boppard am Rhein 1992.

38 Monika Gibas, Walter Goetz und das Institut für Kultur- und Universalgeschichte, in: Comparativ, Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung 4/1991, 22-29.

39 Vgl. Walter Goetz, Aus dem Leben eines deutschen Historikers, in: Historiker in meiner Zeit (wie Anm. 34) 1-87, hier 49 f.

40 Hans Freyer, Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts, Leipzig 1921, reprogr. Nachdruck Hildesheim 1966. Gutachter waren Johannes Volkelt, Felix Krueger und L. Pohle (Wirtschaftswiss.). Universitätsarchiv Leipzig, PA 474, Bl. 7.

41 Hans Freyer, Typen und Stufen der Kultur, in: Alfred Vierkandt (Hrsg.), Handwörterbuch der Soziologie. Stuttgart 1931, 294-308, hier 295f., Zitat 296.

42 Hans Freyer, Die Geschichte der Geschichte der Philosophie im 18. Jahrhundert. Leipzig 1911. Auch veröffentlicht als Heft 16 der Beiträge zur Kultur- und Universalgeschichte, hg. von Karl Lamprecht. Leipzig 1912; Zitat S. 12.

43 Vgl. Hans Freyer, Einleitung in die Soziologie. Leipzig 1931, 128f.

44 Eine ausführliche Darstellung der Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft in: Elfriede Üner, Soziologie als geistige Bewegung. Hans Freyers System der Soziologie und die Leipziger Schule. Weinheim 1992, Kap. II; eine Analyse seiner Dialektik in Kap. V. Zur Fortführung des Lamprechtschen Ansatzes durch Freyer vgl. Luise Schorn-Schütte, Karl Lamprecht, Wegbereiter einer historischen Sozialwissenschaft? In: Notker Hammerstein (Hrsg.), Deutsche Geschichtswissenschaft um 1900. Stuttgart 1988, 153-191, hier 188-191.

45 Zu diesem Absatz Hans Freyer, Soziologie als Geisteswissenschaft, in: Archiv für Kulturgeschichte 16, 1926, 113-126.

46 Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, Leipzig-Berlin 1930, Kap. II,1: Soziologie und Geschichtsphilosophie, 114-125, Kap. III,1: Grundlinien des Systems; Zitat 220 f. Ebenso Hans Freyer, Gesellschaft und Geschichte, (Stoffe und Gestalten der deutschen Geschichte, Band 2, Heft 6). Leipzig 1937. Diese existentialistische Wende kündigt sich bei Lamprecht und anderen Autoren vor dem I. Weltkrieg bereits an in der Frage der Politisierung der Gesellschaft durch die neue Geschichtswissenschaft, oder auch in der Proklamation der Kulturwissenschaft als gesellschaftliche Selbstbesinnung und politische Macht. Vgl. Rüdiger vom Bruch, Weltpolitik als Kulturmission. Auswärtige Kulturpolitik und Bildungsbürgertum in Deutschland am Vorabend des I. Weltkrieges. Paderborn 1982, 49ff.

47 Vgl. Freyer, Wirklichkeitswissenschaft (wie Anm. 46), Kap. I. Sowohl die Bemühungen des Leipziger Naturphilosophen Hans Driesch, den antiken Begriff der Entelechie für die moderne Philosophie wieder fruchtbar zu machen, wie auch die Dissertation seines Schülers Arnold Gehlen "Zur Theorie der Setzung und des setzungshaften Wissens" (Leipzig 1927), oder auch die Arbeit des Freyer-Schülers Ernst Manheim "Zur Logik des konkreten Begriffs" (München 1930), sollten zur Lösung dieses wissenschaftstheoretischen Problems beitragen.

48 Vgl. Freyer, Wirklichkeitswissenschaft (wie Anm. 46), 191.

49 Eine detaillierte Kritik in Üner, Soziologie als geistige Bewegung (wie Anm. 44), 47-58.

50 Zur gleichen Zeit bemühte sich der "durkheimien" Maurice Halbwachs, der erste französische Professor einzig für Soziologie ohne Beiordnung eines anderen Faches, an der wieder französischen Universität Straßburg, den szientistischen Positivismus Durkheims durch die Rezeption der historischen Soziologie Max Webers zu korrigieren. Vgl. Wolf Lepenies, Gefährliche Wahlverwandtschaften. Stuttgart 1989, 102 f.

51 Vgl.Freyer, Wirklichkeitswissenschaft (wie Anm. 46), 226.

52 Arkadij Gurland, Produktionsweise-Staat-Klassendiktatur. Versuch einer immanenten Interpretation des Diktaturbegriffes der materialistischen Geschichtsauffassung. Leipzig, Phil. Diss. 1929 (Koref. Erich Brandenburg, Geschichte). Wieder veröffentlicht unter dem Titel: Marxismus und Diktatur. Frankfurt/M. 1981; Sigmund Neumann, Die Stufen des preußischen Konservatismus. Ein Beitrag zum Staats- und Gesellschaftsbild Deutschlands im 19. Jahrhundert. Phil. Diss. 1928 (Koref. E. Brandenburg); ders., Die Parteien der Weimarer Republik (1932), Stuttgart 1965, 2. Aufl.; Hildegard Reisig, Die Rolle der Bildung für die Befreiung des Proletariats im politischen Denken der deutschen Arbeiterbewegung von den 40er Jahren bis zum Weltkrieg. Phil. Diss 1932 (Koref. Theodor Litt, Pädagogik); später als: Der politische Sinn der Arbeiterbildung. Berlin 1975; Erich Thier, Rodbertus-Lasalle-Wagner. Ein Beitrag zur Theorie und Geschichte des deutschen Staatssozialismus. Phil. Diss. 1930 (Koref. Gerhard Kessler, Nationalökonomie); Ernst Manheim, Die Träger der öffentlichen Meinung (Habil. 1933), später als: Aufklärung und öffentliche Meinung. Stuttgart 1979. Weitere Dissertationen bei Freyer vor 1933 in Üner, Soziologie als geistige Bewegung (wie Anm. 44), 219 Anm. 76.

53 Vgl. Hermann Heller, Staatslehre. Leiden 1934. Hierzu genauer Üner, Soziologie (Anm.44), 93-97.

54 Elfriede Üner, Jugendbewegung und Soziologie. Wissenschaftssoziologische Skizzen zu Hans Freyers Werk und Wissenschaftsgemeinschaft bis 1933, in: M. Rainer Lepsius (Hrsg.), Soziologie in Deutschland und Österreich 1918-1945. Sonderheft 23 der Kölner Zeitschr. f. Soziologie und Sozialpsychologie, Opladen 1981, 131-159. Vgl. auch Wolf Lepenies, Die drei Kulturen. Soziologie zwischen Literatur und Wissenschaft. München 1985, 409-422.

55 Als solcher fand Freyers Antäus. Grundlegung einer Ethik des bewußten Lebens, Jena 1918, begeisterte öffentliche Zustimmung; u. a. die Kasseler Post: "Hans Freyer ist ebenso Dichter wie Denker (...) Freyer ist kein Systematiker, Freyer philsophiert mit seinem ganzen Wesen, nicht nur mit der Vernunft seines Gehirns". Vgl. Hans Freyer, Revolution von rechts. Jena 1933, redaktioneller Teil ohne Seitenangabe am Ende.

56 Hieran erinnert sich einer seiner Studenten, Walter Markov, sehr spöttisch in: Walter Markov, Zwiesprache mit dem Jahrhundert, dokumentiert von Thomas Grimm. Berlin 1989, 32.

57 Fritz Borinski, Der Leuchtenburgkreis, in: Werner Kindt (Hrsg)., Dokumentation der Jugendbewegung Bd. III: Die bündische Zeit. Düsseldorf-Köln 1974; auch F. Borinski u.a. (Hrsg.), Jugend im politischen Protest. Der Leuchtenburgkreis 1923-1933-1977. Frankfurt/M. 1977.

58 Hans Freyer, Herrschaft und Planung (1933), in ders., Herrschaft, Planung und Technik. Aufsätze zur politischen Soziologie. Herausgegeben und kommentiert von Elfriede Üner. Weinheim 1987.

59 Vgl. Üner, Soziologie als geistige Bewegung (wie Anm. 44), 117-133; hierzu auch Jerry Z. Muller, Enttäuschung und Zweideutigkeit: Zur Geschichte rechter Sozialwissenschaftler im Dritten Reich, in: Geschichte und Gesellschaft 1986, 289-316.

60 Vgl. Hans Freyer, Preußentum und Aufklärung (1944), hg. von Elfriede Üner. Weinheim 1986, 30, 67f.

61 Liste der Forschungsarbeiten, die in der philosophisch-historischen Abteilung der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig im Gange sind. Universitätsarchiv Leipzig, Sign. Phil. Fak. B1/13/Bd. 3, Bl. 7.

62 Georg Lukàcs, Die deutsche Soziologie zwischen dem ersten und dem zweiten Weltkrieg, in: Aufbau, 1946, 585-600; später erweitert in seinem Buch: Die Zerstörung der Vernunft, (G. Lukàcs Werke Bd. 9) Neuwied u. Berlin 1962, Kap. 6. Daß Lukács' Kritik, wie die vorherige neukantianische, wiederum von einer Übergeordneten Vernunft, diesmal der "Notwendigkeit der Geschichte" ausgeht, wie auch René König Freyer von der übergeordneten Vernunft des Staates her argumentiert (1937), kann hier nur erwähnt werden; zu Königs Kritik vgl. E. Üner, Soziologie (wie Anm. 44) Kap. III.

63 Zum Zeitpunkt der Umorientierung 1946/47 wirkten z.B. nur drei Fachhistoriker der älteren Generation, die schon vor 1933 Verbindung zur kommunistischen Partei und Arbeiterbewegung hatten, an den Universitäten der damaligen sowjetischen Besatzungszone: Jürgen Kuczynski und Alfred Meusel in Berlin, und Walter Markov in Leipzig. Vgl. Werner Berthold, Marxistisches Geschichtsbild. Volksfront und antifaschistisch-demokratische Revolution.Berlin 1970, 255.

64 Der Rektor Erwin Jacobi an das Ministerium für Volksbildung am 3. Feb. 1948. Universitäts-Archiv Leipzig Personalakte Freyer, Bl. 237.

65 Vgl. Hans Freyer, Weltgeschichte Europas, 2 Bde. Wiesbaden 1948, 2. Bd, 1010ff.

66 Hermann Lübbe, Die resignierte konservative Revolution, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 115, 1959, 131-138.

67 Otto Neuloh/Roland Pardey, u.a., Sozialforschung aus gesellschaftlicher Verantwortung. Entstehungs- und Leistungsgeschichte der Sozialforschungsstelle Dortmund. Opladen 1983.

68 M. Rainer Lepsius, Die Entwicklung der Soziologie nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Günther Lüschen (Hrsg.), Deutsche Soziologie seit 1945. Sonderheft 21/1979 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 25-70, vgl. 38f. und Übersicht 4, 66f.

69 Vgl. Hans Freyer, Der Fortschritt und die haltenden Mächte (1952), in ders., Herrschaft, Planung und Technik, herausgegeben von E. Üner. Weinheim 1987, 73-84.

70 Vgl. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1955, 239-247.

71 Vgl. Hans Freyer, Schwelle der Zeiten. Stuttgart 1965, 332f.

72 Vgl. ebd. 324 f.

73 Vgl. Freyer, Theorie (wie Anm. 70), 254-257.

74 Er konnte nur noch das historische Einleitungskapitel schreiben: Hans Freyer, Gedanken zur Industriegesellschaft, postum besorgt von Arnold Gehlen. Mainz 1969.

75 Vgl. Helmut Schelsky, Ist die Dauerreflexion institutionalisierbar? Zum Thema einer modernen Religionssoziologie, in ders., Auf der Suche nach Wirklichkeit. Gesammelte Aufsätze zur Soziologie der Bundesrepublik. München 1979 (Tb.-Ausg.), 268-297, insbes. 271-274. Eine vergleichende Theorieanalyse Freyer-Gehlen-Schelsky u.a.: Elfriede Üner, Hans Freyer und Arnold Gehlen: Zwei Wege auf der Suche nach Wirklichkeit, in: Helmut Klages/Helmut Quaritsch (Hrsg.), Zur geisteswissenschaftlichen Bedeutung Arnold Gehlens. Berlin 1994, 123-162.

76 Helmut Schelsky, Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation, in: Auf der Suche (wie Anm. 75), 449-486.

77 Arnold Gehlen, Über kulturelle Kristallisation, in: Studien zur Anthropologie und Soziologie, Frankfurt/M. 1963, 311-328; ders., Ende der Geschichte? in: Einblicke, Frankfurt/M. 1975, S. 115-133; ders., Post-Histoire - ein unveröffentlichter Vortrag aus dem Jahr 1962, in: Klages/Quaritsch (Hrsg.), Zur geisteswissenschaftlichen Bedeutung (wie Anm. 75), 885-895. Zur Kritik vgl. Wolf Lepenies, Melancholie und Gesellschaft. Frankfurt/M. 1972, 234-238.

78 Umfassende Darstellung der Diskussion des posthistoire in der Nachkriegszeit: Lutz Niethammer, Posthistoire. Ist die Geschichte zu Ende? Reinbek b. Hamburg 1989; hierzu bes. 159-166; auch Johannes Weiß, Kulturelle Kristallisation, Post-Histoire und Postmoderne, in: Klages/Quaritsch (Hrsg.), Zur geisteswissenschaftlichen Bedeutung (wie Anm. 75), 853-864.

79 Vgl. Helmut Klages, Arnold Gehlens Analyse der modernen Industriegesellschaft, in: Arnold Gehlen zum Gedächtnis. Vorträge vom 21. Juni 1976 in der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Berlin 1976, 23-38, hier 32-37.

80 Vgl. Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945. München 1989, 261f., 283ff., 308-311.

81 Dokumentiert durch ein Photo in Walter Markov, Zwiesprache mit dem Jahrhundert (Anm. 56) 192; über die Suche nach dem Lamprecht-Mobiliar wurde der Verfasserin berichtet von Elisabeth Klein, Leipzig, am 1.11.1993. Sie schrieb für Hans Freyer gleich nach 1945 und war lange Jahre Sekretärin im Institut Walter Markovs.

82 Michael Zeuske, Materialien zu einer Geschichte des "Instituts für Kultur- und Universalgeschichte seit 1948, in: Gerald Diesener (Hrsg.), Karl Lamprecht weiterdenken, Leipzig 1993, 99-131; Zitate S. 99 und 100 (es handelt sich hier um Zitate aus einem Brief Walter Markovs an den Autor).

83 Vgl. Georg G. Iggers (Hrsg.), Ein anderer historischer Blick. Frankfurt/M. 1991, 23 und Anm.

84 Vgl. Zeuske, Materialien (wie Anm. 82).

85 Zur Leipziger Lamprecht-Rezeption: Ernst Engelberg, Zum Methodenstreit um Karl Lamprecht. In: Karl Marx-Universität Leipzig, 1409-1959. Leipzig 1959; Herbert Schönebaum, (wie Anm. 30); Karl Czok, Karl Lamprechts Wirken an der Universität Leipzig. Sitzungsber. der Sächs. Akademie der Wissenschaften, Phil.hist. Kl. Bd. 124, H. 6, Berlin 1984; Hans Schleier, Karl Lamprecht als Initiator einer intensivierten Forschung über die Geschichte der Geschichtsschreibung, in: Storia della Storiografia/ Geschichte der Geschichtswissenschaft 2, 1982, 38-56; sowie die breit gefächerte Lamprecht-Rezeption in Diesener (Hrsg.), Karl Lamprecht weiterdenken (wie Anm. 86), die 1991 auf einer Gedenktagung der Leipziger Lamprecht-Gesellschaft zum 100. Jahrestag von Lamprechts Berufung nach Leipzig vorgetragen wurde. Zum Meinungsstreit mit Kuczynski vgl. Schorn-Schütte, Karl Lamprecht, Wegbereiter (wie Anm. 44), 153f.

86 Vgl. Markov, Zwiesprache (wie Anm. 56), 22, 32.

87 Aktennotiz des Dekans der Phil. Fak., Prof. Klingner vom 18. Feb. 1947, Universitätsarchiv Leipzig, PA 1100, Bl. 22. Den Hinweis auf Markovs Habilitation verdanke ich dem Direktor des Leipziger Universitäts-Archiv. Dr. Gerald Wiemers.

88 Markov hätte als Alternative auch den Historiker Hans Hausherr in Halle als Gutachter wählen können, der als ein dem Sozialismus aufgeschlossener "bürgerlicher" Historiker galt. Aktennotiz des Dekans der Phil. Fak., Prof. L. Klingner, Universitätsarchiv Leipzig, PA 1100, Bl. 22; zur Einordnung von Hausherr als "bürgerlicher Historiker" vgl. Berthold, Marxistisches Geschichtsbild (wie Anm. 63), 233.

89 Hans Freyer, 1. Referat über "Grundzüge der Balkan-Diplomatie. Ein Beitrag zur Geschichte der Abhängigkeitsverhältnisse" von Dr. phil. Walter Markov. Universitätsarchiv Leipzig, PA 1100, Bl. 26-29.

90 Vgl. Zeuske, Materialien (wie Anm. 82); Zeuske war Schüler von Manfred Kossok, dem Nachfolger Walter Markovs auf dem Lehrstuhl für Allgemeine Geschichte der Neuzeit seit 1969. Kossok gehörte zum engeren Kreis der "Markovianer" in den fünfziger Jahren.

91 Vgl. Markov, Zwiesprache (wie Anm. 56), 196-200.

92 Vgl. Markov, Zwiesprache (wie Anm. 56), 71 f.

93 Einen Überblick über die Diskussion geben Theda Skocpol (Hrsg.), Vision and Method in Historical Sociology, Cambridge-New York 1984; Dennis Smith, The Rise of Historical Sociology, Cambridge 1991.

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