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Institution

(Lexikon Artikel im "Lexikon des Konservatismus", Leopold-Stocker-Verlag, Graz/Stuttgart 1996)

Das lateinische Wort "institutio" ist in folgenden Bedeutungen in die neuzeitliche Philosophie eingegangen: als Prozeß des Einrichtens, der Stiftung oder Setzung als autoritativer Akt von besonderem Gewicht, damit verbunden der Einrichtung, von der eine öffentliche Wirkung und Autorität ausgeht. Durch die Spaltung von Staat und (bürgerlicher) Gesellschaft in den staatsphilosophischen Auseinandersetzungen nach der Aufklärung hat der Begriff I. Brisanz erhalten. Für den französischen Revolutionär Saint-Just z.B. verbürgten I.en als "gesellschaftliche" Instanzen die Freiheit des Volkes gegen den Staat und waren Träger der Säkularisierung der Moral - je zahlreicher die Institutionen, desto selbständiger und freier steht die Macht des Volkes dem Staat gegenüber. "Staat" wie "Institution" werden als konkrete soziale Gebilde aufgefaßt, ihre Geschichte wird säkularisiert zur realen Abfolge der gesellschaftlicher Zustände und zum Kampf gesellschaftlicher I.en um die staatlichen Machtmittel. Die Institutionen als gesellschaftliche Gebilde mit eigenen Gesetzen, die dem autonomen Bildungsprinzip des Staates entgegenstehen, gehören zu den großen wissenschaftlichen Themen des 19. Jahrhunderts, verbunden mit den Namen Saint-Simon, Auguste Comte, Lorenz v. Stein oder auch Karl Marx, und die Aufdeckung ihrer Gesetzmäßigkeiten war Aufgabe der neuen Wissenschaft der Soziologie. Diese galt vornehmlich als Institutionenlehre, sei es in integrationistischer Version, die Staat und Gesellschaft als verschiedene, aber sich ergänzende Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens auffaßt - Staat als Volk in seinem einheitlich geordneten Zusammenleben, Gesellschaft als System von Sonderbestrebungen der Volksglieder, d.h. von Institutionen - und Gesellschaftslehre als moderne Staatslehre begreift (H. v. Treitschke); oder aber die Soziologie wurde dialektisch aufgefaßt und ihr als Wissenschaft der neuen sozialen Bewegungen die aktuelle Mission aufgetragen, durch wissenschaftliche Bewußtmachung die "Emanzipation" der dem Staat entfremdeten gesellschaftlichen Mächte in einer neuen Staatsform einzuleiten (L. v. Stein, später H. Freyer). Die Soziologie als Institutionenlehre galt keineswegs als Bekräftigung der etablierten staatlichen Ordnungen; sie stand als Oppositionswissenschaft in enger Verbindung mit dem Beginn des industriellen Zeitalters und seinen neuen sozialen Bewegungen (Saint-Simon, L. v. Stein). Da der Begriff I. die Vermittlung zwischen Werten und Ideen, die eine Gesellschaft von sich hat und den Individuen, ihrem Handeln und ihren Bedürfnissen, auch zwischen soziobiologischer Antriebsstruktur und sozialen Interaktionsmustern, kulturellen Objektivationen, religiösen und politischen Wertmustern und Legitimationsvorstellungen leistet, wird er von allen Kultur- und Humanwissenschaften thematisiert.

Der Begriff I. ist durch folgende Grundkontroversen bestimmt.

1. I. als schöpferische Setzung oder als eigengesetzliche Objektivation:

Die Verfestigung sozialer Tatsachen in I.en und ihre Eigengesetzlichkeit ist Grundlage der Soziologie E. Durkheims. I.en sind wie Gegenstände von eigener Natur zu betrachten, die dem menschlichen Willen widerstehen und durch ihre rigiden Handlungsfestlegungen Zwang auf die Individuen ausüben. Es handelt sich um Kristallisierungen bereits vergangener Entwicklungen, die auch bei ständiger Veränderung sozialer Konstellationen lange fortbestehen können. Weder als Reduktion auf individuelle Manifestationen, noch als "Kollektivbewußtsein", auch nicht reduziert auf ökonomische Faktoren können I.en soziologisch erfaßt werden, sondern nur durch die ihnen eigenen Gesetzmäßigkeiten, die eine ihnen gewidmete eigene Wissenschaft erst rechtfertigen.

Im Gegensatz dazu steht H. Freyers frühes Konzept der "Sozialform": Nur im Vollzug wird sie real - I.en bestehen, solange man sich zu ihnen bekennt, und ihre wissenschaftliche Erkenntnis kann nur prozeßhaft, d.h. dialektisch erfolgen. Auch für H. Arendt stellt Handeln nach kollektiv geglaubten Ordnungen oder I.en deren öffentliche Manifestation und damit wirkendes und politisches Handeln dar und steht deshalb im Gegensatz zu rein zwanghaftem oder traditionalem Verhalten. Der "Einrichtung" (institutio) als grundlegende Ordnungsvorstellung mit Rechtsnormen und entsprechendem Sanktionsapparat steht immer auch das "Einrichten" (instituere) als aktive Sinngebung, variierende Sinndeutung und moralischer Anspruch gegenüber. Dieser Aspekt wird durch die pluralistische Konstruktion sozialer Wirklichkeit in der pragmatistischen Theorietradition (G. H. Mead, später Berger/Luckmann) ausgearbeitet; allerdings wird dort die politische Dimension zugunsten der Alltagswelt weitgehend ausgeblendet.

Die funktionalistischen Theorien der Ethnologie (Malinowski) betonen die Eigengesetzlichkeit von I.en, jetzt jedoch erweitert durch evolutionäre Entwicklungsdynamik. Ausgehend von der Frage, welche biologisch unabdingbaren Grundbedürfnisse (basic needs) durch soziale und materielle Austauschbeziehungen befriedigt werden, konstruieren sie ein evolutionäres System ihrer institutionellen Transformationen in Brauchtum, Mythos, Sitte und Recht und deren funktionalen Zusammenspiels (Malinowski), das wissenschaftliche Kulturvergleiche erlaubt und die Reduktion des Sozialen auf biologische Grundkonstanten korrigiert. Mit der postulierten Eigendynamik werden die I.en jedoch der unmittelbaren Gestaltung durch die Teilnehmer weitgehend entzogen. Im Zentrum steht die Frage nach der Homöostase und dem Erhalt des Gesamtsystems. I.en erscheinen als Funktionen einer Gesamtkultur, ihre Veränderung wird evolutionär interpretiert als Ausdifferenzierung von abgeleiteten Bedürfnissen, die ihrerseits wieder erneute Institutionalisierung hervorrufen. In der soziologischen Systemtheorie T. Parsons tritt an die Stelle der Basis-I.en das allen gemeinsame Normen- und Kultursystem, und der Vorgang der Institutionalisierung fungiert als Vermittlungsprozeß mit dem sozialen und personalen System. Nur die Internalisierung der I.en durch Sozialisation spielt dabei eine ausschlaggebende Rolle; Gestaltungsakte der Subjekte sind nur als Bestätigung funktional für das Gesamtsystem und damit relevant.

Die von komplexen Systemen bestimmte Eigendynamik ist auch Grundannahme der kulturkritischen Annäherungen an die I.entheorie, hier als negative Erscheinung: sie ist Ursache der Entmündigung und Entfremdung des Menschen in der modernen Industriegesellschaft. Das von Natur aus freie Individuum wird durch festgeschriebene Rollen in I.en einem unentrinnbaren Zwang unterworfen, der trotz Entfremdung hingenommen wird, weil negative Sanktionen drohen (R. Dahrendorf). Die Übermacht und Selbstläufigkeit der I.en bedeutet den schleichenden Untergang des Individuums in einer total verwalteten Welt. Beschränkt auf bestimmte I.en der gegenwärtigen Gesellschaft, Gefängnisse oder geschlossene psychiatrische Anstalten, werden Strukturen und Prozesse derartiger "totaler I.en" analysiert (E. Goffman). Die Eigendynamik technisch-industrieller Systeme veranlaßt H. Freyer, in seinen Spätwerken von I.en als "sekundäre Systeme" i.S. von extrem künstlichen Sachwelten auszugehen, deren Dynamik der Logik der Automation folgt und damit extremen Anpassungsdruck auf die Menschen ausübt; deshalb können die I.en des technischen Fortschritts nicht mehr als neue Kulturformen in das Sozialleben integriert werden. An der gegenwärtigen weltgeschichtlichen Epochenschwelle müssen ihre Gegenkräfte, die "haltenden Mächte" als historisch sedimentiertes kollektives Kulturwissen, reduziert werden auf einen nur die individuelle Lebenswelt gestaltenden Habitus. Die Entgegensetzung von technisch-industriellem System der I.en und der "Lebenswelt" wird später von Habermas ausgearbeitet. Nach Freyer steht die Industriegesellschaft gegenwärtig am Entscheidungspunkt zwischen totaler Anpassung an die sekundären Systeme und individueller Leere oder sozialer Neugestaltung von I.en in einer zukünftigen Gesamtform der Industriekultur.

Die evolutionäre Dynamik der I.en, ihre Bedürfnissteigerungsfunktion und Höherentwicklung in Folgeinstitutionen gehen später durchaus positiv als das Grundgesetz eines stabilen sozialen Wandels in die Erörterungen ein (H. Schelsky). Diese Eigengesetzlichkeit ist in der gegenwärtigen Kultur an einem neuen Bewußtseinsbedürfnis des Menschen nach kritischer Selbstreflexion angelangt, feststellbar u.a. am Anspruch auf persönliche Freiheit, an der kritischen Distanz zu sozialen Zwängen, oder auch an der Meinungsfreiheit, die nun in neuen I.en Befriedigung finden müssen. Der Rückzug in die private Lebenswelt, von HF als Krisenerscheinung beklagt, wird von Schelsky unter dem Begriff der "Subjektivität" in den Rang der neuen "Leitidee" der modernen I.en erhoben. Die entsprechenden subjektiven Bedürfnisse sind nicht mehr auf Veränderung, sondern auf begleitende Dauerreflexion gestellt, was keineswegs einen Rückfall in subjektive Beliebigkeit bedeuten muß; denn die individuelle Freiheit erfolgt wird vor allem in der Sprache und im Kommunikationssystem erneut kollektiv verbindlich institutionalisiert. In Umfragen zum Wertewandel in der Bundesrepublik wird eine Abnahme von Pflicht- und Akzeptanzwerten und eine deutliche Zunahme von Selbstentfaltungswerten bestätigt und damit eine Institutionalisierung der auf Selbstentfaltung bedachten Subjektivität empirisch nachgewiesen (H. Klages), die sich in der Arbeitswelt bereits als partizipative Führung, Klientenorientierung und innovativer Arbeitsstil niederschlägt, in denen bewußt die individuelle Motivation geweckt wird und mit der Organisationszielsetzung zu einer "Unternehmenskultur" verschmilzt.

Auf M. Webers These der okzidentalen Rationalisierung aufbauend sieht M. R. Lepsius gleichermaßen eine dominierendes Bedürfnis der Selbstreflexion als gesellschaftliches Rationalisierungskriterium, das sich (in Tradition des weberianischen Neukantianismus) an einer inhärenten vernunft- und wertbestimmten Ordnung orientieren kann. Die Erfüllung dieses modernen Rationalisierungsbedürfnisses wird der I. der Intellektuellen als gesellschaftliche Aufgabe zugeschrieben, die als Vermittlungsinstanz die rationale Vernunft in einer wissenschaftlichen Modernisierungspolitik zu konkretisieren hat.

In A. Gehlens anthropologischer Verankerung der I.en, die auf Malinowski aufbaut, ist der Dualismus von "Geist" und "Leben", d.h. von I. und individuellem Handeln, aufgegeben. An die Stelle des "Geistes", dessen Objektivität für ihn wissenschaftlich nicht nachzuweisen ist, tritt das menschliche Bewußtsein, das sich im Handlungskreis fortwährend zu stabilisieren hat. Dadurch, daß der Mensch im Gegensatz zum Tier nicht instinktgebunden ist, gehört das Bewußtsein und die bewußte Führung ("Zucht", Askese) der lebensdienlichen Handlungen in I.en zu seiner naturgemäßen Ausstattung, die somit keinen Verlust des Menschlichen, vielmehr eine Chance zu reicherer Lebensführung darstellen. Die Zivilisation ist getragen von den Leistungen jedes einzelnen bis in seine elementarsten Schichten hinein, und I.en können, da sie praktische Zwecke auf eine allgemeine objektive Ebene heben, höhere Werte erst lebensfähig machen. Nur im Rahmen funktionierender I.en zahlt es sich aus, Moral zu haben. Nach wie vor hebt eine Eigendynamik der "sekundären objektiven Zweckmäßigkeit" die I.en über den kurzgeschlossenen Kreis von Handlung und Erfolgs- oder Mißerfolgsmeldung hinaus, die jedoch nicht mehr auf eine transzendente Objektivität des "Geistes" transponiert wird. Der Heroismus der Person besteht darin, daß sie durch Handeln I.en "setzt" und gestaltet und sich subjektiv damit "in Zucht hält" - "eine Persönlichkeit ist eine Institution in einem Fall".

Auf das Konzept der Dauerreflexion aufbauend, hebt N. Luhmann den Dualismus zwischen Sachgesetzlichkeit und sozialer Gestaltung ebenfalls auf. I.en als verfestigte Strukturen sind vergangenen Epochen zuzurechnen, während heute nur mehr ein prozessualer Begriff der Institutionalisierung Gültigkeit hat. Eine komplexe Gesellschaft im ständigen Wandel muß ihre Institutionalisierungsmechanismen offen halten durch ständige Auslotung und Anonymisierung eines nicht konkreten, sondern generalisierten und damit unterstellten Konsenses. Dauerreflexion bedeutet die Freigabe jedes verbindlichen Wissens; ihre Institutionalisierungen, wie wissenschaftliche Forschung oder Rechtssysteme haben immer hypothetischen und falsifizierbaren Charakter und ihre Leistung besteht in der Reduktion von Komplexität durch Prozesse der Beschaffung von unterstellbarem Konsens für diese Änderungsfähigkeit von Systemen, die auf offenen wandelbaren Sinn bezogen sind. Auch ist die Idee einer evolutionären Entwicklung aufgegen; die "Eigengesetzlichkeit" des Systems besteht in der kontinuierlichen Setzung der Wandlungsfähigkeit.

Subjektive Entscheidung, Kreativität und Hingabe im Handeln in I.en wird in der theologischen Diskussion hervorgehoben, z.B. bringt die evangelische Rechtstheologie mit dem Aspekt der Stiftung das korrigierende Argument ein, daß I.en sich nicht notwendigerweise aus zunächst spontan gelebtem Verhalten entwickeln, sondern durch einen akausalen Akt geschaffen werden, und daß sie immer unter einer transzendenten Wertidee stehend gedacht werden müssen; nicht jede kollektiv gelebte Tradition und nicht jeder gesellschaftliche Trend kann den einer I. zustehenden Anspruch auf Verbindlichkeit erheben. Es geht weniger um Zwang denn um freiwillige Zuwendung - die freiheitliche Entscheidung zur I. begründet einen "Status" der Teilnehmer, der nicht nur als Pflicht auferlegt wird, sondern Prestige und Verantwortung verleiht; es besteht eine Dialektik von bewußter Setzung und freiwilliger Annahme (Dombois). Betont wird damit, daß auch in durchaus funktionalen Verhältnissen diese Akte der gewährenden Institutionalisierung möglich sind, die die Teilnehmer weniger instrumentalisiert als normativ verpflichtet und damit die Chance der Weltgestaltung durch I.en hervorhebt.

Der Begriff der "Stiftung" wird an Beispielen katholisch-christlicher und muslimischer Tradition in die Kultursoziologie eingebracht (M. Rassem). Grundlage bildet die willentliche und altruistische Verfügung des Stifters, der dadurch, daß er wirtschaftliche und politische Machtmittel freiwillig einem höheren Zweck unterstellt, der Stiftung besonderen Glanz und Würde verleiht. Der Nutznießer unterwirft sich aufgrund der höheren Aufgabe der Stiftung einer strengen Disziplin, oft auch einer harten Bewährungsprobe, jedoch im Rahmen eines freiwilligen "Bundes" mit ursprünglich frei definierten Zielen. Säkularisiert und auf die demokratische Gesellschaft angewandt tragen I.en Stiftungscharakter, die im Interessenkampf und gegenüber der Staatsmacht eine selbständige Macht aufbauen und nur durch Reverenz und Sendungsbewußtsein erhalten bleiben und bieten die Chance zu neuer Politisierung und Humanisierung. Für neue soziale Bewegungen, für das transnationale Kooperations,- Wettbewerbs- und Förderungswesen in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur als Gegeninstanzen zum Verteilerstaat kann der Zusammenhang von Stiftung, Status und Gestaltung einen adäquaten Erklärungsrahmen bieten.

Die politische Betrachtung, die den Begriff I. auf die Qualität einer öffentlichen Entscheidungsinstanz begrenzt, konzentriert sich auf die Entgegensetzung von

2. Vorrechtlichen Ordnungen und des formalen Rechts.

Mit der Kennzeichnung der I. als "soziale Tatsachen" (E. Durkheim) wurde betont, daß I.en von einem "Kollektivbewußtsein", d.h. einer noch vorrechtlichen Ordnung getragen sind, die eine über jede formale Rechtsgarantie hinausgehende Legitimität besitzt. Die fundamentalen I.en, wie Ehe, Eigentum, Familie, Religion, sind nicht durch Recht oder Staat entstanden; das Recht kann sie nur schützen und der Staat verleiht durch seine "institutionelle Garantie" (C. Schmitt) im nachhinein die Dignität einer verfassungsrechtlichen I. Mit dem "konkreten Ordnungsdenken" (C. Schmitt) ist die Forderung an den Staat gestellt, der vorhandenen gesellschaftlichen Realität in dieser verfassungsmäßigen Verankerung Rechnung zu tragen. Der französische Staats- und Verwaltungsrechtler M. Hauriou stellte der Staatssouveränität ein öffentlich-rechtliches System der Institutionen entgegen, dessen Gegenmacht in kollektiven politischen und sozialen Vorstellungen besteht; diese "idées directrices", die nicht mit dem Zweck oder der Funktion der I. verwechselt werden dürfen, sind initiativ für die Schaffung von I.en und sind zugleich der jeweilige Bezugspunkt der Legitimation und Identifikation. A. Gehlen spricht diesbezüglich von einem "ideativen Bewußtsein", dessen Eigengesetzlichkeit eine objektive, transpersonale Realität besitzt und gleichzeitig Ausdruck seiner Verrechtlichung ist. Max Webers Konzeption der nicht gesatzten, jedoch kollektiv als gesatzt angenommenen Ordnungen, durch die Handeln erst zum "sozialen Handeln" wird, ist nach wie vor eine gültige soziologische Umsetzung des Kollektivbewußtseins in I.en.

Unter dem Eindruck des Umbruchs der zwanziger Jahre wurde betont, daß nur eine im Volk lebendige Rechtsanschauung die Staatsakte determinieren könne. Das Recht muß "Imperativ einer Gemeinschaftsautorität" sein, nur dann kann es in entsprechenden materialen Ausformungen, den I.en, gemeinschaftlich gelebt werden (H. Heller). Andererseits wird eine öffentlich-rechtliche Verankerung als unerläßliche zweite Komponente der I. hervorgehoben (R. Smend). Der Rückgang auf vorrechtliche, kulturell verankerte Beziehungen und Sinngebungen, ohne Zweifel wirksam gegen positivistischen Gesetzesdogmatismus oder gegen die Verengungen des vernunftrechtlichen Vertragsdenkens eingesetzt, kann die Rechtssicherheit und die Legitimitätsvorstellungen sehr schnell untergraben, wenn die Rechtsgewinnung sich nur an den sich dauernd verändernden Verhältnissen orientiert - "Volksgesetze" bergen die Gefahr ständiger Novellierungsbedürftigkeit. Das Konzept einer sachlichen und dauerhaften Rechtsordnung kann ein wirksames Korrektiv sein z.B. gegen Ausuferung der individuellen Freiheit. Hierauf stützt sich die Engrenzung der politischen I.enlehre auf die in der Verfassung verankerten I.en der politischen Willensbildung, Regierung und Verwaltung, die damit aber andere politische Prozesse ausblendet. Die rechtliche Einbindung der I.en fungiert in der aktuellen systemtheoretischen Staatsdiskussion sogar als die dominierende Konfliktentscheidungsfunktion des Staates. Der Rückgang auf vorrechtliche Werte muß abgelöst werden, weil der moderne Staat von einem Wertepluralismus bestimmt ist (H. Willke). Nur durch das Recht gelingt eine kontrollierte Einbindung der verschiedensten Parteien, sozialen Bewegungen und Interessenvertretungen, ohne daß auf die unterschiedlichen Weltbilder der Bürger zurückgegriffen werden muß. Dabei werden hierarchische Ordnungsvorstellungen aufgegeben: Der Staat hat das Rechtsmonopol, der Sinn staatlicher Ordnungsleistungen beruht jedoch auf der Vermittlung durch heterarchische gesellschaftliche Teilsysteme, die die Durchsetzung von "Grundwerten" pluralistisch bewältigen; der einzelne Teilnehmer bleibt dabei Spielball unsichtbarer Teilsysteme (H. Willke).

Durch Rückgriff auf den antiken Begriff der "Praxis" soll der Begriff der I. von der Kontingenz der Geschichte freigemacht und zu einer "Ontologie der Unbestimmtheit" erweitert werden, wiederum mit Hilfe der wissenschaftlichen Selbstreflexion (C. Castoriadis). In neuesten entscheidungstheoretischen Konzepten des kollektiven Handelns wird wieder die individuelle Nutzenmaximierung und die rationale Wahl herausgestellt (M. Olson), die auf eine Ethik des reinen Überlebenstriebes hinauslaufen, das politische Verhalten in I.en jedoch nicht erklären. Hierauf weis M. Douglas hin und geht in einer epistemologischen Annäherung auf die Grundfrage der Möglichkeit kollektiven Glaubens und Wissens ein. Hier werden die tieferen Schichten des institutionalisierten Wissens - Analogien, Klassifikationen, Transformationen durch Erinnern und Vergessen - aufgedeckt; dabei ist aber der Begriff I. wiederum in der Gesamtheit des kollektiven Wissens aufgegangen: I.en sind "Theorien, die die Gesellschaft von sich selbst hat". Der "neue Insitutionalismus" in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften versucht, den empirischen Reduktionismus, wie Aggregierung von individuellem Verhalten oder ökonomische Mechanismen der Ressourcenverteilung zu korrigieren, denn die Dominanz von Großinstitutionen, z.B. internationales Staatenrecht oder Bürokratie, erfordert erneut die theoretische Erfassung von Kohärenz, Interdependenz und Autonomie der I.en. Jetzt stehen aber nicht mehr erkenntnistheoretische oder anthropologische Begründungen im Vordergrund; vielmehr zwingt die Revision behavioristischer bzw. entscheidungstheoretischer Begründungen nun zu Differenzierungen institutioneller und symbolischer Ordnungskonzepte, sowie zur Erfassung komplexer Systemdynamiken. Diese hauptsächlich in den USA geführte Auseinandersetzungen erreichen soeben den deutschen wissenschaftlichen Diskurs (W. Gebhardt), der sich bisher auf die Wiedergabe, Kategorisierung und Differenzierung der oben diskutierten Theorien beschränkte (G. Göhler u.a.). Eine die Vielzahl der transnationalen I.en der Weltwirtschaft und Weltkultur, die sozialen Bewegungen, sowie die neuen Regionalismen, Fortschrittsethik und ökologische Wertorientierung integrierende I.enlehre steht nach wie vor aus.

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